Anwesen von Haus Theress
nahe Kaas City, Dromund Kaas
Der hochgewachsene Reinblüter trat an die mattschwarz verspiegelte Fensterscheibe und blickte hinaus. Nur wenige Momente lang konnte das Geschehen draussen seine Aufmerksamkeit einfangen. Bisweilen erhellte ein Blitz den allgegenwärtigen Regen von Dromund Kaas, so langweilig und unspektakulär wie stets. Inzwischen hatte er sich zu sehr an das feucht-gewittrige Klima des Planeten gewöhnt. Müßig wandte er sich wieder seinem eigenen Gesicht zu, das von tiefen Furchen und kleineren Fältchen durchzogen war. Manchmal glaubte er, jede seiner schwerwiegenden Entscheidungen in seinem Gesicht wiederfinden zu können, doch er hatte gewiss viel mehr schwerwiegende Entscheidungen getroffen als die Anzahl seiner Falten jemals würde wiedergeben können.
Lord Chouran Theress starrte das Gesicht an, das nur noch wenig mit dem einstigen, wissbegierigen Schüler zu tun hatte, der auf der Akademie durch sein Talent für das Erinnern kompliziertester Texte Aufmerksamkeit erregt hatte. Es war ein alt gewordenes, verbrauchtes Gesicht, in dem sich das Ringen um mehr und tiefere Erkenntnisse der dunklen Seite der Macht für jeden manifestierte. Kurz hoben sich seine Mundwinkel zu einem sardonischen Lächeln.
Es hatte Umwege gegeben, aber er hatte letztendlich erreicht, was er gewollt hatte - sein Aufstieg unter den Sith hatte ihm gegeben, wonach er gestrebt hatte. Eine weitgehend sichere Stellung, Einfluss, Macht über die Seinen, er hatte eine gute Partie gemacht, um den Namen seines Hauses auch für die Zukunft zu sichern. Das Lächeln erstarrte. Nur seine Nachkommen ...
Der Blick schweifte erneut hinaus. Von seinem Arbeitszimmer aus konnte man den Innenhof des Anwesens betrachten, in dem einige der Haussklaven größere Gepäckstücke umher schleppten. Es schien ein ungeordnetes Chaos, doch in solchen Dingen konnte sich Lord Theress auf seinen Haushofmeister verlassen. Alles dort wurde von unsichtbarer Hand dirigiert und folgte einem bestimmten Zweck. Das Gepäck gehörte Lord Theress' jüngstem Sohn, dem bisher aussichtslosesten Nachkommen der Frucht seiner Lenden.
Der Lord schnaubte leise aus und wandte sich von den raumhohen Fenstern ab. Ein missbilligender Blick strich über den Schreibtisch, auf dem sich die Datenpads stapelten. Berichte, die geduldig auf ihn warteten, die ihn dennoch absolut nicht interessierten. Die Maschinerie seines Machtbereichs würde auch einen Tag lang ohne seine ungeteilte Aufmerksamkeit funktionieren.
"Bist Du endlich zu einer Entscheidung gelangt?" Das scharfe Organ seiner Angetrauten riss den Lord aus seinen Gedanken. Schon immer hatte sie die Fähigkeit besessen, seine ruhigen Momente zu vereinnahmen. Weder war sie schön noch gefällig, doch dies war für einen Lord der Sith auch nicht entscheidend. Lord Gahaar Theress' Haar war inzwischen stahlgrau und kurz geschnitten, damit sie nicht mehr Zeit als nötig für die Körperpflege aufwenden musste. Das scharf geschnittene Gesicht wirkte heute besonders statuenhaft, als wäre sie den Sanden von Korriban entsprungen. Wahrscheinlich vermisste der Geist von Marka Ragnos eine seiner Statuen aus dem Grabmal ... den lästerlichen Gedanken beiseite wischend nickte Chouran ihr knapp zu.
"Natürlich. Es bleibt nicht mehr viel Auswahl, also muss es geschehen. Die Bio-Daten sind nicht ideal, aber besser als bei den anderen." Ein bellendes, unangenehmes Lachen entrang sich Gahaars Kehle. Ihr Blick aus leuchtend gelben Aufen fokussierte ihren Ehemann. Zwischen diesen beiden reinblütigen Sith gab es keine tieferen Gefühle, und dennoch eine Übereinstimmung: Für den Ruhm und Namen ihres Hauses, in welches Gahaar vor fünfundvierzig Jahren eingeheiratet hatte, hatten beide viel gegeben.
"Es ist nicht die Schuld meiner Blutlinie, dass das alles geschehen ist. Haus Theress hat in den vergangenen Jahrhunderten zu viel Wert auf Exclusivität gelegt - und das sind die unvermeidbaren Folgen. Ihr wart zu kurzsichtig!" Die beiden Sith starrten sich gegenseitig an, ohne dass einer von beiden hätte nachgeben wollen.
"Das weiss ich selbst, doch es lässt sich nicht ändern. Dir war der Aufstieg Deiner Linie das Risiko wert, nun müssen wir beide sehen, wie wir damit zurecht kommen." Nun war sie es, die knapp lächelte. Bei ihren kühlen Zügen hatte dieses Lächeln stets ein raubtierhaften Beigeschmack.
"Ich habe eine passende Kandidatin ausgewählt und die ersten Verhandlungen bereits geführt. Es besteht Interesse - und die Gene sind seit mehreren Jahrhunderten nicht mehr im allgemeinen Pool geführt worden. Eine bessere Zusammenstellung gibt es nicht."
"Du hast diese Sache begonnen, ohne mich in Kenntnis zu setzen?" Die Brauen Chourans hoben sich nur leicht. Auch wenn sie bisweilen eine unerfreuliche Eigeninitiative entwickelte, handelte Gahaar meistens sehr vorausschauend.
"Es ergab sich eine günstige Gelegenheit ..." Sie durchquerte den Raum mit einigen schnellen, geschmeidigen Schritten und blieb an der Fensterfront stehen. Unten eilten sich noch immer die Sklaven dabei, unförmige Gepäckstücke von einem Transporter abzuladen.
Ein hochgewachsener, schwarzhaariger Reinblüter durchquerte den Hof, blieb einige Momente lang beim Transporter stehen und winkte einen der Sklaven heran, um diesem einen quadratischen Koffer zu übergeben.
"Wer hätte gedacht, dass er irgendwann der Einzige sein würde." Gahaar atmete scharf aus, als ihr Jüngster eine kleine Silberkugel aus seinem Gewand herausholte und diese vor seinem Gesicht hin und her schwenkte.
"Ein Opernliebhaber, reisender Abenteurer und eitler Geck. Die letzte Hoffnung unseres Hauses. Wüsste ich es nicht besser, würde ich vermuten, Du hättest ihn mir untergeschoben," kommentierte Chouran trocken den Auftritt seines Sohnes.
"Du hättest ihm sicherlich nicht seinen Hang zur Rebellion vererben können," schoss Gahaar ungerührt zurück und wandte sich ab, als ihr Sohn ins Innere des Hauses gegangen war. "Überbringen wir ihm die freudige Nachricht."
"Welche zuerst?"
"Die Gute natürlich." Ihr heiseres, bellendes Lachen folgte der Sith Lord durch den Gang, bis ihr Chouran folgte, die Stirn nachdenklich gefurcht. Der Gedanke, wie viel von seinem Jüngsten abhängen würde, gefiel ihm ganz und gar nicht.