Die Geburt des Bussards
~ Hoth, 4 VVC ~
"Ike, der Schwächling, feiges Huhn. Gackgackgack, da rennt er nun. Ike, der Schwächling, feiges Huhn. Gackgackgack, da rennt er nun. Ike, der Schwächling, feiges Huhn. Gackgackgack...", riefen die Jungen hinter ihm her. Ihre Stimme laut über das Tal schallend und sich gegenseitig übertreffend. Das gehässige Lachen konnte er noch Meilen später in seinen Ohren hören.
Ike rannte so schnell ihn seine dürren Beine trugen. Es stimmte. Er war schwächlich. Und vielleicht auch feige. Aber er war schneller und flinker als alle anderen in der Siedlung und kannte die besten Verstecke weit und breit.
Im Nu war er aus der Reich- und Sichtweite der größeren Jungen entschwunden und seine Spuren im Schnee vom Wind verweht. Er lief und lief bis er die Sicherheit einer Eishöle weit außeralb des Tals erreichte, deren Lage nur er kannte.
Mit pochendem Herz rannte er hinein und ließ sich von den bläulich schimmernden Wänden verschlucken, die um so dunkler wurden, je tiefer man in die Höhle vordrang.
Dort, vom Eingang gut verborgen, hockte er sich in einen Schneehaufen, die Knie bis ans Kinn gezogen und die Kapuze seines hellen Anoraks tief im Gesicht, und wartete darauf, dass sein hämmerndes Herz sich wieder beruhigte.
Minuten vergingen, in denen nur sein heißer Atem als kleine, weiße Wölkchen sichtbar war.
Ja, er war schneller und gewitzter als die größeren und stärkeren Jungen. Doch ihre Worte taten dennoch weh. Feiges Huhn - so nannten sie ihn immer, seit sie gemerkt hatten, dass er nicht so schnell und kräftig wuchs wie sie.
Und die Leute in der Siedlung hatten es von ihnen übernommen. Überall folgte ihm ihr Gegacker, wenn er mit seinem Vater das Tal besuchte oder für seine Mutter eine Besorgung machte.
"Sie meinen das nicht böse...", meinte sein Vater dann immer und wuschelte ihm zärtlich durch die Haare. Aber Ike wusste es besser. Sie waren Plünderer und Piraten - allesamt verdorben und missraten.
Langsam hob er den Kopf, als sein Puls ich wieder normalisiert hatte. Seine eisblauen Augen hatten sich bereits an das Halbdunkel der Höhle gewöhnt. Über ihm hingen Eiszapfen herab, die so dick und lang waren wie seine eigene Gestalt.
Sie schimmerten im letzten einfallenden Licht, so wie der frisch herein gewehte Schnee geheimnisvoll glitzerte. Kein Geräusch war zu hören, nur der dumpfe Klang seines Herzschlags und sein Atem, der immer noch als weißer Dunst in der kalten Luft hing. Mit steifen Gliedern erhob er sich, klopfte sich mit behandschuhten Händen den Körper wieder warm und schob die schneebedeckte Kapuze vom Kopf. Darunter kam ein strubbeliges Büschel weißer Haare zum Vorschein.
Früher, vor noch nicht allzu langer Zeit, hatte er gedacht, dass sein weißes Haupt ein Geschenk des Planeten sei, auf dem er lebte. Dass alle Kinder, die auf Hoth geboren werden, weiße Haare bekämen, um sich besser vor Tauntauns, Skels und Wampas tarnen zu können. Doch er war das einzige Kind mit weißen, silbergrauen Haaren in ihrer Siedlung und vor ein paar Monaten hatte er erfahren, dass er gar nicht auf Hoth geboren worden war, sondern auf einem Frachter auf dem Weg nach Merisee. Dennoch verschaffte ihm dieser Umstand in manchen Situationen einen Vorteil. Er konnte sich anschleichen wie kein zweiter und blieb oft unentdeckt in seinen Verstecken.
Aus seiner Jackentasche zog er einen Leuchtstift hervor, aktivierte ihn und stapfte tiefer in die Höhle hinein. Dort hin, wo die Dunkelheit das leuchtende Weiß des Eises verschlang. Dass dort kein Wampa auf ihn wartete, dessen hatte er sich schon bei früheren Erkundungen vergewissert. Die Höhle war leer... dass hieß, fast leer.
Denn tief unten unter dem Eis waren die Trümmer eines uralten Schiffes verborgen. Er wusste nicht wie lange es dort schon lag oder welches Volk es einst gebaut hatte. Aber da das Eis dort nicht hinreichte, musste es schon sehr, sehr lange dort liegen und alt sein.
Mit seinem Leuchtstab bewaffnet, trat er in die eisige Schwärze. Die Kammern des Schiffes waren leer, hohl hallte seine helle Stimme von den metallenen Wänden wieder. Neugierig arbeitete er sich von Raum zu Raum immer weiter vor bis zum Herz des alten Frachters. Plötzlich fiel das grüne Licht seines Leuchtstabs auf einen großen alten Schiffscomputer. Als er näher trat, bemerkte Ike ein kleines rotes Licht, das an der Seite aufblinkte. Vorsichtig strich er über die kalte, glatte Oberfläche des Computers und berührte schließlich die leuchtende Taste.
Erschrocken trat er einen Schritt zurück und riss die Augen auf, als plötzlich hinter ihm mitten im Raum eine Holoprojektion erschien. Das Bild eines alten Mannes, der in einer unverständlichen Sprache redete, flackerte stark und bereits nach wenigen Sekunden brach die Übertragung wieder ab und das blinkende Licht der Taste, an die er gekommen war, erlosch. Noch einmal versuchte Ike die Projektion durch Drücken der Taste wieder zu beleben, doch das Schiff mit seinen Geheimnissen blieb stumm. Ein wenig enttäuscht, aber auch auf seltsame Weise neugierig verließ er das Schiff.
Es vergingen mehrere Tage bis der Junge wieder zur Höhle zurückkehrte. Eisiger Wind hatte neuen Schnee vor den Eingang der Höhle geweht. Vorbeiziehende Eisdünen veränderten ständig die Landschaft, aber dennoch hatte er sie wieder gefunden. Sein Orientierungssinn hatte ihn noch nie im Stich gelassen. Diesmal trug er einen vollgestopften Rucksack bei sich auf dem Rücken. Dank seines guten Erinnerungsvermögens fand er schnell die Kammer mit dem Computer wieder.
Er kniete sich neben dem Computerterminal hin und entleerte alles, was er seinem Vater aus der Werkstatt stibitzt hatte. Ein handlicher Generator, ein Bolzenschrauber, mehrere Meter Kabel und anderes Werkzeug. Ehrgeizig begann er sofort mit seiner Arbeit.
Nach Stunden ausdauernden Schraubens erhob er sich wieder und schaute grinsend auf sein Werk.
Als er den Generator startete, blitze es kurz auf. Rauch stieg aus einer Ecke auf, dann blitze es noch einmal, diesmal mehr ein Flackern, doch nicht vom Generator, sondern vom Schiffscomputer.
Zufrieden sah er, wie das rote Licht wieder aufleuchtete. Erwartungsvoll trat er näher und betätigte die Taste... und eine neue Welt eröffnete sich ihm.
~ gleicher Planet, gut ein Jahr später ~
"Ike Buteo! Wo steckst du schon wieder?"
Schon von Weitem hörte er seine Mutter rufen. Seufzend, aber seine Schritte beschleunigend, trottete er näher. Das Haus seiner Eltern war nicht mehr als eine Hütte. Zwei Räume und ein Anbau, der als Werkstatt diente. Sie waren nicht besonders reich, aber sie hatten genug zum Leben. Soweit man von einem Leben auf Hoth und unter Piraten und Plünderern sprechen konnte. Ihr größter Schatz, sagten seine Eltern immer wieder, sei er.
Ike war das furchtbar peinlich. Immerhin war er keine drei mehr. Bald schon würde er zwölf werden und dann, so hatte ihm sein Vater versprochen, würde er ihnen nicht mehr nur in der Werkstatt beim Ausschlachten der alten Schiffswracks helfen, sondern dann dürfte er mit zum Markt.
Ike konnte es kaum erwarten, mehr von der Welt zu sehen, als nur ihre stinkige, kleine Siedlung. Er träumte davon, eines Tages sein eigenes Schiff zu besitzen, statt nur die zurückgelassenen Wracks anderer zu plündern. Aber nicht irgendein Schiff, sondern das Schnellste und Beste der Galaxis!
Mit seiner Tasche über der Schulter trat er ins Haus.
„Hier bin ich, Mama.“
Malou Buteo drehte sich um und bedachte ihn kurz mit einem Lächeln, bevor sich ihre Augenbrauen unter dem rotbraunen Haaransatz streng zusammen zogen.
„Wo warst du nur schon wieder? Geh in die Werkstatt, du hast noch Aufgaben zu erledigen!“
„Ja, Mama.“ Mit gesenktem Kopf schlurfte er an ihr vorbei, wobei sie ihm kurz durch das silberweiße Haar strich.
Ike nahm seine Tasche und ging hinüber in die Werkstatt. In der hintersten Ecke des kleinen selbst zusammen gezimmerten Schuppens stand eine Werkbank, die seinen kleinen Arbeitsbereich darstellte. Dort holte er ein kleines, silbernes Kästchen aus seiner Tasche und stellte es an einen besonderen Platz oben auf dem Regal darüber. Wochen, Monate hatte er damit zugebracht die Informationen aus dem Schiffscomputer des alten Wracks herauszufiltern und in eine neuere Speichereinheit zu übertragen. Immer wieder waren seine Bemühungen unterbrochen worden, da er den Generator ersetzen musste oder auch die Kabel. Unterdessen hatte er jedoch allerhand über die Kultur dieses alten, vermutlich ausgestorbenen Volkes gelernt, das einst mit diesem Schiff die Galaxis bereist hatte. Er hatte einen Teil ihrer Sprache oder vielmehr einzelne Wörter identifiziert und daraus ein kleines Wörterbuch zusammen gestellt.
Ike grinste, schnappte sich einen Lappen und machte sich an die Arbeit, die auf der Werkbank liegenden Teile zu säubern und zu polieren. Ein entschlossener Ausdruck trat dabei auf sein junges Gesicht. Von nun an würde er sich Lagopus nennen. Das hieß Schneehuhn in ihrer Sprache. Ja, er würde aus dem Spottnamen der älteren Jungen einen Ehrennamen für sich machen.
Ein Schneehuhn – das war in einer Welt voller Eis nicht die schlechteste aller Tarnungen. Er war schnell, er fand Wege, die kein anderer fand, konnte sich anschleichen und wegducken, wo andere auffielen wie ein Akkhund im Schnee – auch wenn er noch nie einen Akkhund gesehen hatte.
Und eines Tages, dachte er grimmig und reckte stolz sein weißes Haupt, wenn er sein eigenes Schiff hätte, dann würde er Captain Lagopus Buteo sein – und aus dem Huhn würde ein Bussard werden.
So wie es die Sprache des alten Volks versprach.