Schott Zwei
Charmath, 22 NVC
Es war ein herrlicher Tag auf dem Campusgelände. Die Sonne schien und die angenehmen 22 Grad, die herrschten, luden dazu ein, den Nachmittag draußen zu verbringen, statt in den kühlen Hallen der Universität.
Auch Samara nutzte die Gelegenheit und hatte sich an ihrem Lieblingsplatz nieder gelassen: ein einzelner Baum auf der Wiese hinter der Bibliothek, dessen Halbschatten ein angenehmes Lesen ermöglichte.
Viele ihrer Kommilitonen nutzen das schöne Wetter anstatt für ihre Studien für sportliche oder gesellschaftliche Betätigungen und so konnte man auf dem Gelände und von den Sportplätzen ausgelassenes Lachen und anfeuernde Rufe, wie das allgemeine Stimmengewirr von verschiedenen Gesprächen hören.
Für Sam boten diese Geräusche ein angenehmes Hintergrundrauschen, dass sie nicht wirklich in ihrem eigenen Tun ablenkte. Sie hatte ihre Nase tief in das Pad auf ihrem Schoß vergraben, markierte hin und wieder gelesene Stellen oder machte sich Notizen dazu.
Plötzlich landete eine Sachiblüte auf der Seite, die sie gerade las. Verdutzt nahm sie diese in die Hand und betrachtete sie. Aus dem Baum, unter dem sie saß, konnte sie wohl kaum gefallen sein und sie wuchsen auch nicht in unmittelbarer Nähe zu ihrem Platz. Suchend schaute sie auf und sah sich prompt der Quelle des unverhofften Blütenregens gegenüber. Er lehnte mit einer Hand am Baum abgestützt neben ihr und schaute lächelnd auf sie herab. Wie er dort allerdings hingekommen war, ohne dass sie ihn bemerkt hatte, war ihr schleierhaft.
Da ihr nicht der Sinn danach stand, sich foppen zu lassen, legte sie die – durchaus hübsche – Blüte zur Seite und blickte wieder auf ihr Pad.
„Galaktische Geschichte, Band 19. Die Pius Dea-Kreuzzüge“, las er mit angenehmer Stimme den Titel ihres Buches vom Pad ab, gefolgt von einem anerkennenden Pfeifen. „Da hast du dir aber eine echt schwere Kost für einen Nachmittag ausgesucht.“
„Nur, wenn man mehr abbeißt, als man kauen kann“, entgegnete sie nüchtern und blätterte unbehelligt eine Seite weiter, in der Hoffnung, es würde sein Interesse an ihr abkühlen.
Ihr Kommentar ließ ihn jedoch auflachen und unwillkürlich musste Sam wieder aufblicken. Er hatte mit Abstand das entwaffnenste Lachen, das sie je bei einem Jungen gesehen hatte. Perplex betrachtete sie ihn nun eingehender, während er mit seinen türkisgrünen Augen auf sie herab lächelte.
Er war nicht besonders groß, nur wenige Zentimeter größer als sie selbst vielleicht, und schien nicht der Muskelprotz zu sein, obwohl seine schlanke Figur dennoch kräftig wirkte. Sein ovales Gesicht war von wilden, dunklen Locken umrahmt, deren Strähnen teils bis zum Kinn reichten und ihm gerade in dieser Position über der Stirn hingen. Alles in allem kein unangenehmer Anblick, gestand sich Sam ein. Eher das Gegenteil.
„Das scheint mir nicht dein Problem zu sein.“ Grinsend verließ er seine Position am Baum und ging neben ihr in die Hocke. „Hi, mein Name ist Civen.“ Er hielt ihr über ihr Pad hinweg seine Hand hin.
„Samara“, erwiderte sie immer noch leicht skeptisch und reichte ihm ihre Hand.
„Ich weiß“, schmunzelte er entspannt.
„So?“ Verdutzt hob sie die Augenbrauen an. „Haben wir irgendwelche Kurse zusammen? Ich kann mich nicht erinnern...?“
„Nein, haben wir nicht. Anderer Fachbereich.“ Er schüttelte diesen wilden Lockenkopf. „Aber ich habe dich schon ein paar Mal auf dem Campus gesehen.“
„Und dich über mich erkundigt?“ So ganz schlau wurde sie aus seinem Verhalten nicht.
„Ja.“ Er betrachtete sie ziemlich unverholen, aber nicht auf eine Weise, die ihr unangenehm gewesen wäre. Sie konnte ihn nur nicht richtig platzieren.
„Und warum hast du mich dann nicht schon früher angesprochen?“
„Wollte ich. Aber du schienst immer mit irgendwelchen Trotteln zusammen zu sein.“ Wieder zeigte er sein entwaffnendes Lächeln. „Jetzt gerade bist du das nicht, oder?“
„Du meinst jetzt jetzt gerade oder so allgemein jetzt?“, erwiderte sie und warf ihm einen herausfordernden Blick zu.
„Touche!“, lachte er. „Ich meine, so allgemein jetzt. Bist du... derzeit liiert?“ Obwohl er bisher gelassen und zuversichtlich gewirkt hatte, stahl sich ein Hauch von Unsicherheit in seine Stimme.
„Nein“, antwortete sie bewusst knapp, neugierig, was als nächste kommen würde.
„Dann... bist du also frei?“ Nun waren seine Stimme wie auch sein Blick deutlich hoffnungsvoller.
„Frei wofür?“ Sie ließ ihn noch einen Moment zappeln.
„Um mit mir aus zugehen.“ Es war keine direkte Frage, aber sein Blick entsprach mehr dem einer Bitte.
Sam legte den Kopf zur Seite und betrachtete ihn prüfend. Dann konnte sie ein Schmunzeln nicht mehr unterdrücken. „Ja.“
„Prima. Dann morgen Abend um zwanzig Uhr. Vor dem Campus Tor.“ Ohne auf eine Bestätigung von ihr zu warten, erhob er sich und schlenderte, die Hände in den Hosentaschen vergraben, davon. Nach ein paar Schritten drehte er sich jedoch noch mal zu ihr um und zwinkerte ihr zu.
Eilig senkte Sam ihren Blick ins Buch. Doch nur um das breite Grinsen und die leichte Rötung ihrer Wangen zu verstecken.
~
Dromund Kaas, Kaserne Aurek-12, 25 NVC
Sam saß im Gemeinschaftsbereich an einem der Terminals dort und tippte tief in Gedanken versunken einen Brief. Vor drei Tagen hatten sie den Marschbefehl für Miser Prime erhalten. Die Zeit seitdem war mit etlichen Vorbereitungen gefüllt gewesen. Nun war für Sam der erste freie Moment da, um ihre „persönlichen Angelegenheiten“ zu regeln, wie es in dem Marschbefehl geheißen hatte. Viel blieb ihr da nicht zu tun. Den Brief an ihre Schwester Judy hatte sie bereits verfasst und abgeschickt, mit der eindringlichen Bitte, ihrer Mutter nur im wirklichen Notfall davon zu erzählen. Die Worte an ihre Mutter hatte sie in einer Datei gespeichert, die sich unter ihren persönlichen Sachen befand. Doch der Brief, an dem sie jetzt saß, war der schwerste von allen...
Empfänger: Civen Dakyra, Universität von Charmath, Charmath
Absender: PVT Samara Garrett, Kaserne Aurek-12, Dromund Kaas
Betreff: Abschied
Liebster Civen,
ich weiß, dass es komisch sein muss, nach so langem Schweigen von mir eine Nachricht zu erhalten. Ich bin jetzt hier auf Dromund Kaas, habe meine Grundausbildung abgeschlossen und bin vor drei Wochen zu meiner ersten Einheit versetzt worden. Ja, du liest richtig. Ich habe mich zu den kämpfenden Truppen gemeldet. Überraschung.
Morgen brechen wir zum ersten großen Einsatz auf und man hat uns geraten, vorher noch Briefe an unsere Liebsten zu schreiben. Du weißt schon, für den Fall dass wir... nicht zurück kommen.
Mir ist klar, dass ich kein Recht mehr habe, an dich als meinen Liebsten zu denken, aber mir sind nur zwei Personen eingefallen, an denen ich einen solchen Brief schreiben könnte. Meine Schwester und du.
Es tut mir leid, dass ich mich seit über einem Jahr nicht mehr bei dir gemeldet habe. Und auch, dass ich einfach so verschwunden bzw. einfach nicht mehr nach Charmath zurück gekehrt bin. Du hast mehr verdient als die paar Zeilen, aber nach dem Vorfall auf Athiss und dem Tod meines Vaters konnte ich einfach nicht mehr zurück. Ich denke nicht, dass ich noch das Mädchen bin, dass du kanntest. Und in das du dich verliebt hast.
Ja, ich hätte dir das alles persönlich sagen und dir die Chance geben sollen, es selber heraus zu finden. Ich weiß. Aber ich hab befürchtet, dass du mich umstimmen würdest. Dass ich dir zuliebe versucht hätte, dorthin zurück zu finden, wo es für mich keinen Weg mehr hin gibt. Und das hätte uns beide nicht glücklich gemacht.
Ich erwarte nicht, dass du mein Handeln verstehst. Oder mir verzeihst. Aber angesichts dessen, dass es nun ernst wird und wir in echte Kampfhandlungen verwickelt sein werden, wollte ich, dass du weißt, dass es nicht an dir gelegen hat. Was wir hatten war echt und sehr schön. Und ich habe dich geliebt. Ein Teil von mir tut es immer noch.
Mehr bleibt mir nicht mehr zu sagen. Ich wünsche dir, dass du glücklich bist und ein erfülltes Leben hast. Und vielleicht, irgendwann mal, denkst du ab und zu an mich?
In meinem Herzen – das Bild deines Lachens
In Liebe,
Samara