Mhia Callee: Emergency Room

  • ... vor zwei Tagen ...

    Alle treten vom Tisch zurück. Selbst der Droide, der bis eben noch die Anästhesie berechnet und überwacht hat. Niemand sagt etwas. Der Sanitäter, der seinen Kameraden hereingetragen und mit erstaunlicher Selbstbeherrschung mitgeholfen hat, den Brustkorb zu öffnen, starrt schweigend auf die Null-Linie. Seine Arme hängen kraftlos herab, bis zu den Ellbogen mit Blut besudelt, die frische Uniform komplett ruiniert.
    Stille.


    “Zeitpunkt des Todes: Siebzehnuhrdreiundfünfzig”, durchbricht die erstaunlich dunkel klingende Stimme der Ärztin die unwirkliche Atmosphäre, die mit dem Dauerpiepton der Nulllinie kreiert wurde. Der Droide schaltet das Display aus und damit auch diesen nervigen Ton. Neben ihm fängt der Assistenzarzt damit an, die Instrumente aus dem Körper des Toten zu holen, die nicht mehr benötigt werden. Leise tauscht er sich mit der Ärztin kurz über die weitere Vorgehensweise aus, bis diese endlich aufsieht und hörbar durchatmet.


    Im grellen Licht des Raumes wirkt auf ihn alles verfremdet, übertrieben plastisch. Vielleicht ist es Absicht, mutmaßt er im Stillen, vielleicht bleibt so ein Patient Patient und wird nicht zu Person. “Der wievielte ist es, Doktor?” hört er sich fragen und schafft es mit Mühen, den Blick von dem riesigen Loch in der Brust des Soldaten abzuwenden, der dort auf dem Tisch liegt. Sein Kamerad.
    “Der Dritte. Mein Dritter, um genau zu sein. Aber ich bin erst seit zwei Stunden im Dienst und was ich die letzten fünfunddreißig Minuten hier getan habe, wissen Sie. ich bin über die Verluste der letzten Nacht noch nicht informiert worden.”
    Er starrt ihre grauen Iriden an und nickt die Antwort ab und stellt fest, dass ihre Stimme offenbar immer so klingt: beherrscht, sicher und ein bisschen tiefer als man es ihr zutrauen würde. Irgend etwas passiert gerade, und er kann nicht festmachen, was es ist. Erschöpfung, vermutlich. Das Adrenalin ist verbraucht und im Augenblick gibt es nichts zu tun. Der Kopf ist leer.


    Der Doktor macht einen Schritt zurück und ist plötzlich mindestens fünfzehn Zentimeter kleiner als zuvor, als sie auf ihn zugeht. Sie stand bis eben auf einem Tritt am Behandlungstisch, erinnert er sich.
    “Kommen Sie, ein Caf und ein Proteinriegel werden Ihnen jetzt gut tun.” Sie muss zu ihm aufsehen, weil er sie um gute anderthalb Kopflängen überragt. Mit den knappen, unbewussten Handgriffen einer Person die das tagtäglich tut, zieht sie die Handschuhe von den Händen und den OP-Kittel vom Oberkörper und stopft alles in einen Behälter. Wieder hat er das Gefühl, dass hier etwas passiert. Nichts Schlimmes, eher etwas… Sicheres, Beruhigendes, dass ihm die Möglichkeit gibt, sich wieder zu bewegen, die Schockstarre abzustreifen und sich neben die Ärztin zu stellen.
    Wasser rauscht, der klinische Geruch der Seife dringt ihm in die Nase, dann wird er hinaus geschoben und stellt fest, dass er problemlos in der Lage ist, ihre Fragen zu beantworten.



    ... heute ...


    In der Notaufnahme Aurek-Ost des Coronet Medical Centers ist seit Wochen und Monaten sprichwörtlich die Hölle los. Ständig werden Verletzte angeliefert. Nicht etwa einzeln, sondern gleich zu Dutzenden. Die meisten medizinischen Einrichtungen haben erhebliche Verluste zu verzeichnen, doch hier ist man bis jetzt bis auf ein paar Kleinigkeiten weitestgehend verschont geblieben. Ärzte, die zu Einsatzorten geschickt wurden, kamen entweder gar nicht zurück oder ebenfalls schwer verletzt. Ein paar davon werden nie wieder in der Lage sein, Patienten zu behandeln und liegen seither in der Komastation. Die Schiffsbesitzer und Hobby-Piloten unter Ihnen haben die Arbeit in den OPs und auf den Stationen niedergelegt und sich freiwillig gemeldet, um sich den Verteidigern anzuschließen. Mit jedem weiteren Angriff der Invasoren waren es mehr: mehr Opfer, mehr Patienten, mehr Ärzte und Pflegepersonal, das ins Cockpit steigt, mehr tote Ärzte. Mit jedem Angriff kommen sie näher. Irgendwann wird es auch auf den Gebäudekomplex Trümmerteile oder ganze Schiffe regnen, abgeschossen, explodiert und unflickbare Risse und Löcher in die verbliebene medizinische Versorgung der Stadt reißend.
    Das Coronet Medical Center verfügt über mehrere Notaufnahmen, auf verschiedenen Ebenen, denn die einzelnen Gebäude sind hoch gebaut und über zwei Straßen miteinander verbunden. Dieser Planet gehört dem Schiffsbau und den Piloten. Also müssen sie auch anfliegbar sein und man entschied sich beim Entwurf des Gebäudekomplexes für eine Aufteilung.


    Sie selbst befindet sich im Augenblick im Erdgeschoss. Zivilisten nehmen grundsätzlich den Weg durch diese Station, so wie Einsatzkräfte von Unfallorten ihre Patienten immer öfter auf den eigenen Armen hereintragen. Die CorSec-Beamten finden in der Regel auch ihren Weg hierher.
    Diese Station ist das Herz der Notaufnahmen, denn hier gibt es den Plan. Eine riesige Holo-Projektion am Ende des überdimensionierten kreisrund angelegten Raumes mit ca. 150 Betten und anschließenden OP-Sälen und Trauma-Räumen, sowie Zugang zu einer eigenen Notfall-Station und der Wohlfahrtsklinik, die irgendein rührseliger Witwer vor fünf Jahren gespendet hat. Sie haben also Platz, viel Platz. Wie es sich für eine führende medizinische Institution Corellias gehört - und doch ist es seit neuestem immer noch zu wenig.
    Der Plan ist Kontrolle, er sorgt für Ordnung im Chaos der stets wechselnden Patienten in den einzelnen Betten und Behandlungsräumen, jedes Bett und jeder Raum ist ausgestattet mit einem Datapad, dass direkt auf ihn zugreifen kann. Der Plan zeigt an, welcher Arzt an welcher Stelle behandelt. Er zeigt an, wie viele Medi-Droids eingesetzt sind und wo. Er hat Untermenüs, die über ein extra Display abrufbar sind und auf Engpässe bei der Versorgung mit Medikamenten, Behandlungs- und Verbandsmaterial hinweisen, wenn es nötig wird. Der Plan schickt Warnhinweise an das Personal, wenn es die zulässige Anzahl an Arbeitsstunden überschritten hat. Warnhinweise, die von den meisten mindestens zweimal ignoriert werden, ehe sie frustriert nach Hause oder in die Bereitschaftsräume schleppen. Nur um sich nach dem Nötigsten an Schlaf dem Chaos erneut zu stellen.


    Der Plan ist das Wichtigste in diesen Zeiten, denn er stellt neben einer Liste der aufgenommenen Patienten auch eine Liste der Verstorbenen aus. Deswegen befindet er sich mit seinem zusätzlichen Display und der Bedienkonsole auf einem Podest, für jeden einsehbar. Das Podest hat sich als ausgesprochen nützlich erwiesen, als Dr. Mhia Callee nach dem ersten Angriff die Leitung der zentralen Notaufnahme komplett übertragen bekommen hat, denn die Ärztin ist klein und schmal und fällt deswegen auf den ersten Blick trotz des weißen Arztkittels nicht gleich als Autoritätsperson auf. Sieben Jahre im Coronet Medical Center haben sie gelehrt, dass die meisten ihrer Kollegen nicht gern nach unten sehen, wenn sie Anweisungen entgegen nehmen sollen. Deswegen stellt sie sich grundsätzlich auf das Podest direkt vor den Plan, wenn sie mit ihren Kollegen als Gruppe spricht. Dann hören sie ihr zu und können ihr gleichzeitig in die Augen sehen. Dann funktionieren sie und halten sich an den Plan. So wie heute.


    Die Liste der verstorbenen Patienten ist mal wieder viel zu lang, findet sie. Gern hätte sie sich die Zeit genommen, ein paar Behandlungen im Detail zu besprechen, um zu sehen ob nicht mehr hätte erreicht werden können. Aber Zeit ist die rarste und wichtigste Ressource von allen. Niemand hat Zeit, außer den Toten. Also läd sie mit einem stillen Seufzen die vierte Liste des heutigen Tages in den Plan und sieht zu, wie sich die Namen der Toten alphabetisch in die bereits angezeigte Liste einreihen. Hinter ihr bricht eine ältere Twilek in heftige Schluchzer aus und zieht damit die Aufmerksamkeit auf der übrigen anwesenden Angehörigen auf den Plan und die Liste. Mhia nutzt den Augenblick, um das Podest zu verlassen und ihre Tasche aus dem Büro zu holen. Die Trauer der Angehörigen ist endlos. Die Verwaltungsleitung hat alle verfügbaren Mitarbeiter aus den psychiatrischen Stationen um Trauerbegleitung gebeten, was sie von Anfang an unterstützt hat. Tod und Krankheit und Verletzung ist nicht alles, was geheilt werden muss.


    Das dritte Warnsignal wegen Überschreitung der Regelarbeitszeit piepst in ihrer Kitteltasche enervierend vor sich hin, als Mhia in ihrem Büro ein paar Kleidungsstücke in ihre Sporttasche wirft und den Reißverschluss zuzieht. Das kleine Sofa in der Ecke ist noch immer unordentlich mit Bettzeug bezogen und daran etwas zu ändern ist auch im Moment nicht ihr wichtigstes Anliegen. In den letzten zwei Wochen hat sie hier in dem kleinen Raum campiert, um immer in der Nähe des Geschehens zu sein, um nützlich zu sein.
    “Hey.”
    Die brummige Männerstimme in ihrem Rücken riecht nach Whiskey. Das weiß sie, ohne nahe genug am dazu gehörigen Mann zu stehen, der den Türrahmen beinahe komplett ausfüllt mit seiner enormen Größe. Er hat sich mit der Schulter angelehnt und klopft lasch auf den medizinischen Notfallkoffer, dessen Trageriemen auf der anderen Schulter hängt.
    “So’n Verwaltungsfuzzi will, dass wir das mitnehmen. Bis’ wohl wichtig. Hab’ gesagt, ich trag ihn, du kriegst den ja nicht mal über den Boden gezogen, wenn du dich voll in die Riemen legst.”
    Mhia schmunzelt einseitig, nur auf der guten Seite ihres Gesichtes, wie es für sie üblich ist. Lieutenant Kalador Londar, der Witwer ihrer besten Freundin, macht selbst im Trauersuff noch Witze über ihre geringe Größe. Das scheint der Grundstein ihrer Freundschaft zu sein, nachdem sie Liz vor zwei Wochen verloren haben. Sie selbst hat eine ganz andere Art, Verluste zu verarbeiten gelernt. Eine Art die Kalador so unverständlich ist, dass es sie beschämt es ihm zu erklären. Also trinkt er und sie arbeitet. Bis gestern Abend, als er plötzlich in ihrem Büro stand und Witze über ihre Größe, ihre Frisur, ihr Aussehen und ihre Art im allgemeinen gemacht hat, als wäre nie etwas gewesen. Seine Art um Hilfe zu bitten.
    “Du hast gesagt, du gehst duschen!” wirft sie ihm vor, ihm die Normalität anbietend, um die er stumm zu bitten scheint. Trauer kommt in Wellen, weiß sie. Also gönnt sie ihm die Ruhe und spielt mit, ehe ihn die nächste überrollt.
    “Hab gedacht, du hilfst mir dabei”, kontert er charmant wie eh und je - wenn da nicht die roten Augen, die tiefen Augenringe und die Whiskeyfahne wären, “und jetzt komm, wir müssen dich füttern, ehe du noch kleiner schrumpfst!”


    Gemeinsam verlassen sie das Büro und kurze Zeit später das Gebäude und gehen schweigend nebeneinander her. Ein ungleiches Gespann, dass Liz einmal als Streichholz neben Kleiderschrank betitelt und sich köstlich darüber amüsiert hat. Wieder schmunzelt Mhia einseitig und sieht zu dem Hünen neben sich auf. Er schmunzelt nicht. Sein Blick ist leer und fern und seine Züge gezeichnet von Schmerz.
    Sie nehmen die Raketenbahn und verbringen den Rest des Weges in ihre winzige Wohnung schweigend. Hier hat er sich einquartiert, mit einem Schlafsack und einem Kissen auf ihrer Coch. In seiner eigenen Wohnung ist er seit dem Tod seiner Frau und der Beurlaubung vom aktiven Dienst nicht ein einziges Mal gewesen. Immerhin hat er Bier- und Whiskeyflaschen aufgeräumt und irgend etwas gekocht oder aufgewärmt, denn es riecht nach Essen.
    “Ich will irgendwas machen, Mhia. Kannst du mich nicht irgendwie… Gesund schreiben?”
    Seine Beurlaubung wurde verlängert, bis ein ein Psychologe ihm ein Okay gibt, den Dienst wieder aufzunehmen. Also solange, bis man ihn für nüchtern und funktional genug hält, eine Waffe auf die richtigen Ziele abzufeuern.
    “Du bist nicht krank, Kalle. Nur in Trauer. Außerdem hast du gekocht! Das ist auch was.”
    Einen Mann wie Kalador Londar zu beurlauben ist, als würde man einen wilden Sandpanther in einen winzigen Zwinger einem kreischenden Publikum zur Schau stellen. Wenn er nichts tun kann, nicht nützlich sein und seiner natur nachgehen kann, geht er ein.
    “Bist du nicht auch so’n Psycho-Doc, Doc?”
    Er lehnt sich entspannt an die kleine Theke, die die winzige Küche vom Wohnzimmer trennt. Also den Raum, der gerade genug Platz für Wohnungstür, Couchtisch, Couch und einen Sessel bietet.
    “Nja, bin ich. Mach ich aber trotzdem nicht”, murrt sie schmollend und schnutet eine Weile nachdenklich - bis ihr einfällt, dass er sie jetzt breit angrinst, weil er das witzig findet. “Wenn du’s schaffst, nüchtern zu bleiben, kannst du morgen mitkommen. Wir brauchen jede Hand.”
    “Echt?!”
    “Echt.”
    “Da find’ ich sicher ‘ne Psycho-Doktorin, die viel netter ist als du.”
    “Bestimmt.”
    “Kommst du mit duschen?”
    Mhia wirft ihm ein zusammengeknülltes Geschirrtuch zielsicher an den Kopf. “Bleib nüchtern und lass den Kleinen Kalle da, wo er hingehört!”
    Er lacht kurz auf, doch seinem Lachen fehlt das Leben, stellt sie fest. Dann deutet er auf den Topf. “Iss die Suppe, oh Königin von Verklemmtistan. Vielleicht knackt dann mal jemand deinen Keuschheitsgürtel freiwillig!”
    Sie hat gerade kein Geschirrtuch mehr zum werfen, also öffnet sie den Kühlschrank, greift hinein und erwischt ein Stück weichen Käse, mit dem sie auf seinen Kopf zielt und der ihn gut erwischt - mitten in den heiligen Dreadlocks.
    “Oh-oh.”
    Mhia stutzt und weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll. Der alte, der normale Kalador müsste sie jetzt eigentlich durch die Wohnung jagen, um sich fürchterlich für die Verschandelung seiner Frisur zu rächen.
    Der neue trauernde Kalador dreht sich einfach um und geht duschen.

    too true to be good.

    Whenever the galaxy is in its darkest hour, you can always count on a true Jedi to do one thing: Run away and hide for the rest of his life.


  • Der Verstand vermittelt ihr, dass sie nicht in ihrer Wohnung (oder im Bereitschaftsraum auf der Liege) ist, sondern in einem Raumschiff, noch bevor sie die Augen wieder öffnet. Es ist ein Wachwerden von der Art, bei der man sich sicher ist, dass man auf gar keinen Fall die Augen aufmachen möchte. So wie vor zwei Wochen. Nach dem Notruf, Nach dem Metallpfeiler im Leib einer Freundin, nach ihrem von ihr persönlich festgestellten Todeszeitpunkt. Aber auch damals hat sie die Augen aufgemacht.
    Der Unterschied zu heute ist: Sie kennt hier niemanden. Nur Kalle wüsste, dass es nicht normal für ihre Verhältnisse ist, sich in traumatischen Situationen auch normal zu benehmen. Also: Angst, Panik, Schock, Nervosität, Verlustängste, Existenzängste. So wie die verstörten Geiseln sich vermutlich gerade fühlen. Die Ärztin atmet tief durch und erforscht ihr Inneres mit Zeit und Ruhe. Da wohnt eine geniale aber vorlaute Psychiaterin in ihrem Verstand, und die gibt ihr grünes Licht. Sie behauptet, der Zustand sei nicht optimal, aber auch nicht besorgniserregend. Therapieren wir selbst, meint sie, oder wir tanzen es raus. Je nachdem, was zuerst nötig ist und möglich sein wird.
    Ihr Lager ist nicht bequem, was sie so sehr überrascht, dass sie abrupt die Augen öffnet und die Umgebung scannt. Bequem oder nicht hat sie noch nie gestört. Man schläft wo man kann, wenn die Zeit dafür da ist. Außerdem ist ihr Meditation sowieso schon immer wichtiger gewesen. Sie ist einfach hilfreicher.


    Mhia setzt sich auf und reibt sich kurz die Augen. Kalle schnarcht irgendwo, hat vermutlich doch noch den Flachmann geleert. Sie hört leise Stimmen, jemand unterhält sich. Sie greift nach ihrem Arztkittel und will ihn überziehen, verzichtet aber angesichts der fast bis zum Ellbogen blutrot eingefärbten Ärmel und den dicken, steifen Blutflecken an der Front. Den zieht sie besser nicht an, sollte ihn aber dringend waschen, findet sie. Denn wenn sie so über die auf dem Schiff anwesenden Personen nachdenkt, hat hier kaum jemand ihre Größe. Sie kann sich also keine Kleidungsstücke ausleihen, um nicht nach soziopathischem Mörder oder leidenschaftlichem Metzger - oder beidem!- auszusehen.
    Der junge Mann, der ihr den perfekten Tee gebracht hat käme eventuell in Frage. Aber selbst der ist größer als sie.


    Sie dehnt ihren Nacken und steht auf. In einer unsicheren Situation tut man Dinge, die einem Sicherheit geben. Dinge, die man beherrscht, die man kontrollieren kann. Kalle ist da leider im Moment schlecht bedient. Er kann niemanden erschießen und sein Flachmann scheint leer zu sein. Er starrt unglücklich auf seine riesigen Hände und sieht auch nicht auf, als sie an ihm vorbei in die Medbay geht, in ihre Sicherheitszone.
    Der Patient ist stabil und schläft. Die Anästhesie war wirklich gut berechnet. Sie huscht um diejenigen herum, die den Verletzten nicht allein lassen können. Mit knappen Erklärungen beruhigt sie die anderen. Alles in Ordnung, er kommt durch. Lassen Sie Sich bitte nicht von mir stören, reine Routine. Diese riesige Chiss scheint besonders besorgt, bemerkt sie. Scheinbar emotionales Engagement von so einer Person. Erstaunlich und interessant. Ihre innere Psychiaterin legt schon mal ein Profil an und ist enttäuscht, als Mhia ihren Fokus wieder auf dein eigentlichen Patienten legt. Später, verspricht sie und deutet dunkel an, dass das für so ziemlich jeden an Bord gilt.


    Mensch, männlich, Mitte vierzig, etwa eins-achtzig groß, etwa 85 schwer, schätzt sie und kontrolliert die Blutwerte, Leber und Nierenfunktion. Sie sucht nach Auffälligkeiten, nach Hinweisen. Er hat noch beide Nieren und ist mit Kolto vollgepumpt, stöhnt die kleine preisgekrönte Chirurgin in ihrem Verstand genervt auf. Ich bin spitze, schnurrt sie hinterher, und hey: 12 Minuten! Neue Bestzeit!
    Der innere Monolog des medizinischen Alphatieres geht voller Selbstbewusstsein weiter, bis sie eine Wundauflage entfernt - dann ist einen Momentlang Totenstille im Kopf.
    DAS war ich nicht, gehen dann beinahe hysterisch die Beschwerden los, ich bin doch kein Anfänger!
    Mhia schnauft durch die Nase aus, besorgt sich einen Mundschutz, findet den richtigen Gewebekleber und den richtigen Faden. Diese Medbay ist wirklich gut ausgestattet. Warum aber so etwas horten und nicht anwenden, kreischt ihr die Chirurgin in den Verstand und deutet auf Faden und Kleber. Na, das sind offensichtlich Soldaten. Da geht es im Notfall nur um “lebt” und nicht um “sieht gut aus”, meldet sich die selbstsichere Stimme einer Jedi zu Worte.


    Die Ärztin holt sich etwas zum Draufstehen heran, um die geringe Größe auszugleichen und lässt ihren Verstand ganz in Ruhe weiter mit sich selbst diskutieren. Sie beugt sich über die Wunden und beginnt damit, die Wundränder zu präparieren. Solange der Mann schläft und mit den Wundern der Medizin vollgepumpt ist, sollte sie die Ruhe dafür finden. Das ihr dabei jemand auf die Finger gucken könnte, ist sie gewohnt. Sie ist _gut_, das weiß sie, und sie hat das richtige Material zur Verfügung. Warum also nicht dafür sorgen, dass es “hübsch” wird, wie ihre tote Freundin sagen würde? Narben sind zwar keine Schande, aber nicht jeder zeigt sie gern herum.


    Man muss sie auch nicht immer sehen müssen, findet sie, wenn man die Wahl hat.
    Sie ignoriert das Jucken auf der linken Wange und beginnt mit ihrer Arbeit, während in ihrem Verstand selige Ruhe und Ordnung einkehrt. Wenn sie hier fertig ist, wird sie endlich schlafen können.

    too true to be good.

    Whenever the galaxy is in its darkest hour, you can always count on a true Jedi to do one thing: Run away and hide for the rest of his life.


  • Seit ein paar Stunden hat die Ärztin schon so ein komisches Gefühl. Eine Vorahnung, substanzlos, visionslos. Nicht angenehm, aber auch nicht schmerzhaft. Sie lenkt sich mit Tee und einem leise geführten Gespräch neben dem schlafenden Patienten in der MedBay ab. Ein gutes Gespräch, wie sie findet. Von der Art, die ihre Achtung vor dem Gesprächspartner wachsen lässt, zumindest ihrerseits. Der Padawan auf der Suche nach einem Freund. Er will eine Lücke schließen, möglicherweise in seinem Herzen. Mhia kennt seine Geschichte noch nicht vollständig, vermutet hinter seinem Verhalten aber jede Menge Verlust und Enttäuschung, von dem einen mehr als vom anderen. Vielleicht kann sie ein bisschen Hilfestellung geben, überlegt sie. Er hat es verdient, so wie er schützend seine jugendlichen Hände über Kalles Fehler halten will. Ein blauer Fleck mag für ihn nichts besonderes sein und sie ist sich absolut sicher, dass Zhay die Situation für sie heruntergespielt hat. Aber ein “blauer Fleck” ist auch immer eine Verletzung. Kalles Hände haben genug Druck auf Zhays Arme ausgeübt, um Blutgefäße im Gewebe zu beschädigen. Das bedeutet, sie haben Gewalt ausgeübt. Das ist Körperverletzung. Strenggenommen war es Misshandlung eines Minderjährigen.
    Technisch gesehen ist er noch ein Kind, Kalle. Du hättest es besser wissen müssen. Warum machst du es dir so schwer?
    Stattdessen hilft Mhia eben Zhay. Sie trägt eine kühlend und abschwellend wirkende Salbe auf seine Blessuren auf. Es mag nur eine leichte Verletzung sein, aber sie fühlt sich schuldig, weil es niemals hätte passieren dürfen. Sie selbst schafft es nicht Kalle auf eine Art zu helfen, die für ihn annehmbar wäre. Der junge Padawan hat also sehr viel mutiger gehandelt als sie es bisher getan hat. Das gibt Stoff zum Nachdenken, wofür Mhia dankbarer ist als sie es zeigt.



    Wieder hat die Ärztin ein ganz mieses Gefühl. Eben kam die Aufforderung, dass sich alle in der MedBay einzufinden haben. Nun, sie ist immerhin schon hier und muss nichts weiter tun als aufrecht stehen, warten. Atmen.
    Nach und nach trudeln alle anderen ein. Sie sind zu… neunt. Zu viele, um sich dauerhaft auf einem kleinen Frachter aus dem Weg zu gehen und auch zu viele um einander jetzt zu ignorieren, obwohl alle mit den eigenen Gedanken beschäftigt sind.
    Die Unruhe im Raum ist nahezu greifbar, als Blue - wie heißt sie eigentlich richtig? Ich muss sie fragen - als Letzte dazu stößt und wie angekündigt einen Stick an das Holo anschließt.


    … I'm leaving tonight …
    Weg, weg, weg.
    Das miese Gefühl schwillt zu einen Rauschen in den Ohren an. Das Bauchgefühl weicht einem schwarzen Loch, schmerzhaft, dunkel und leer.
    Alles, was Mhia jetzt will: nur weg. Fort von hier. Fort von ihrem Patienten, raus aus der MedBay, runter vom Schiff.
    … Going somewhere deep inside my mind ...
    Doch sie atmet tief durch, strafft die Schultern und lauscht auf das unangenehme Rauschen, bis es entfernt nach Musik klingt und leiser wird. Flucht ist nicht wirklich eine Option und wirklich, wirklich unvernünftig.
    Dann startet die Holoaufzeichnung.
    … I close my eyes slowly …
    Sie kennt diese drei Personen nicht, aber sie versteht. Und wünscht sich so sehr, sie täte es nicht. Jetzt sind sie alle ihrer Sicherheit beraubt, ihrer Heimat. Entwurzelt. Im Ungewissen und ohnmächtig das geringste bisschen dagegen zu tun. Jetzt sind sie alle gleich.
    … Flowin' away slowly …
    Mhia erinnert sich immer wieder daran, nicht zu verkrampfen. Sie zwingt sich, aufrecht und entspannt zu stehen, ruhig zu wirken. Sich irgendwie zu beschäftigten. Die Flutwelle der Emotionen in diesem Raum zu ignorieren, sie durch sich hindurch fließen zu lassen. Sie kann jetzt nichts tun, um etwas am Geschehenen zu ändern. Sie kann es nur ertragen.
    … But I know I'll be alright …
    Das hier hat nichts mit Empathie zu tun, nichts mit Machtsinnen. Hier und jetzt in diesem Moment wäre selbst totes Felsgestein gezwungen zu fühlen, soviel ist klar. Wie von selbst heftet sich ihr Blick genau bei diesem Gedanken an die Chiss. - Ihre Reaktion ist interessant zu beobachten. -
    … It's coming stronger to me …
    Alle haben gelernt, sich zusammen zu reißen und zu funktionieren. Selbst Kalle hat sich im Rahmen seiner Möglichkeiten im Griff und Mhia ertappt sich dabei, das mit Stolz feststellen zu können. Sie leitet daraus eine mögliche Behandlungsoption ab.
    Als Ärztin ist die MedBay ihr Bereich, ihr Hoheitsgebiet. Also korrigiert sie abermals die eigene Körperhaltung und bemüht sich um Gelassenheit. Es ist ihr Revier, hier ist sie sicher.
    … And I know someone is out there …
    Johnsons Vitalwerte sind alamierend in dieser Situation, deswegen schaltet sie die Akustik am Display ab - nervige Alarmtöne in der MedBay sind alles andere als entspannend - und bereitet einen Hypo-Injektor mit dem Beruhigungsmittel vor.
    Großzügig dosiert, man kann nie wissen.
    … Lead the way …
    Der Patient - Mr. Johnson - hält eine kurze, aufrührerische Motivations-Ansprache. Tapferkeit vortäuschen hilft denen, die einem folgen. Das scheint er gut im Griff zu haben, denn seine kollektive Kampfansage wird von beinahe allen gut aufgenommen und gibt ihnen Hoffnung. Also unterstützt sie das in diesem Moment auch gegen ihr Gewissen. Sie ist sich sicher, dass er in blindem Aktionismus auch tatsächlich tun würde, womit er droht. - Der Zweck heiligt die Mittel? -
    … Lead the way …
    Als alle die MedBay wieder verlassen haben, gönnt Mhia sich einen Augenblick Zeit, um selbst durch zu atmen. Corellia zu verlassen war die eine Sache. Nun herauszufinden, dass das Herz der Republik ebenfalls nicht sicher ist - nie sicher war - ist eine ganz andere. Es wirkt, als hätte man aus nichts gelernt. Als hätte man jahrelang eine Lüge gelebt, die wie eine schwärende Wunde nur mit einem billigen und viel zu kleinem Hello-Hutty-Pflaster abgedeckt wurde. Jetzt kommen die Zakuul und reißen es mit roher Gewalt ab, vergrößern die Wunde, lassen stinkenden Eiter und dunkles Blut fließen. Verursachen Schmerz und verbreiten Angst. - Sie lassen uns keine Wahl. -
    Wunden, Blut, Eiter, Schmerz. Das sind Dinge, mit denen sie sich auskennt. Sie ist Ärztin und kann sicher nicht die ganze Galaxie heilen, aber sie kann hier vor Ort damit anfangen die Zustände zu verbessern. Zukünftig werden geistig und körperlich gesunde Leute gebraucht. - Dringend gebraucht. -
    … Show me the answers I need to know …
    Johnson sollte eigentlich wirklich noch ein paar Tage liegen, findet sie. Trotzdem erklärt sie ihm seine Optionen, als er danach fragt. Warum es notwendig ist, jetzt ein bisschen Dampf abzulassen und ein System zur Beruhigung zu nutzen, dass keine körperliche Aktion erfordert. Das Gute an Soldaten ist: Man kann ihnen sagen, was sie zu tun haben. Vor allem, wenn sie nicht viele Optionen haben und das erleichtert ihr die folgende Dreiviertelstunde erheblich.
    Mhia findet in dieser Zeit sehr viel mehr über ihren Patienten heraus als in den letzten zwei Tagen, die sie ihn schon in Behandlung hat. Langsam kann sie sich ein deutliches Bild von ihm machen. Keine hohe Kunst, nicht unbedingt schön, viel zu restaurieren. Eine Diagnose, die vermutlich auf die sieben anderen an Bord ebenfalls zutrifft.


    Als sie sich für ein paar Stunden Ruhe zurückziehen will, fällt es ihr schwerer als sonst die Gedanken zu ordnen, den Geist zu leeren. Ein Problem, dass sie in der Regel mit steigender Langeweile oder Unterbeschäftigung assoziiert. Nicht mit Situationen wie diesen.
    Wobei… Eine Situation wie diese gab es in dieser Form noch nicht.
    Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen, so heißt es. Also geht sie zurück an den Anfang. Dorthin, wo alles beginnt. Mhia schließt ihre Augen und erinnert sich zum ersten Mal in den letzten sieben Jahren an die Worte, die den größten Teil ihres Lebens bestimmt haben.


    Es gibt keine Gefühle … what I'm gonna live for …
    Nur Frieden. … what I'm gonna die for …
    Es gibt keine Unwissenheit … who you gonna fight for …
    Nur Wissen … I can't answer that …



    too true to be good.

    Whenever the galaxy is in its darkest hour, you can always count on a true Jedi to do one thing: Run away and hide for the rest of his life.


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