Das Ende der Nacht (Prolog)
Alderaan, Kamoos-Territorium, CTC-Hochhaus im Südflügel des Thul-Palastes, Büro der CEO Baronin Malica Crey. Vor vier Monaten.
Die massive Doppeltür schloss sich mit einem tiefen Raunen hinter ihr. T'sani näherte sich mit sicheren Schritten dem ausladenden Schreibtisch ihrer Dienstherrin und kam schließlich vor diesem zum Stehen. Das Büro der Creytech-Chefin war, die Chiss kannte es eigentlich nicht anders, in ein diffuses Licht getaucht. Ein großzügiges Bildschirm-Paneel, welches die Wand hinter dem Schreibtisch bedeckte, spendete kaltes, fahles Licht, welches an den dunkelgrauen Natursteinwänden des Raumes, erstickend wie Altöl, in langen, bedrohlichen Schlieren hinab lief. Die Bildschirme übertrugen den üblichen Kanon aus Nachrichten, Geschäftsberichten und Live-Streams. Malicas massiver, carbonfarbener Sessel war der Monitor-Phalanx zugewandt und wies ihrer Angestellten somit den Rücken zu. Zu T´sanis aufrichtiger Überraschung war kein Droide zugegen. Diese unheimlichen Ungetüme dienten in unzähligen Kopien der allgegenwärtigen Konzern-KI als mobile Plattformen. Normalerweise war die Baronin kaum jemals ohne einen dieser Begleiter anzutreffen. Die Chiss empfand dies zwar als ehrliche Aufwertung ihres Besuches aber natürlich war ihr trotzdem vollkommen klar, daß es keinesfalls bedeutete, die KI würde diesen Besuch nicht verfolgen, bewerten, abheften. Oder was dieses gottlose Geschöpf sonst auch immer mit seinen zahllosen Aufzeichnungen zu tun pflegte.
Dieser Ort drückte für die Chiss immer eine verwirrende Melange aus Beklommenheit und Traurigkeit aus. Sie konnte ihre Chefin, trotz des räumlichen Komforts, auf keinen Fall darum beneiden. Heute, im Wissen um ihr Anliegen, schien sich dieser Eindruck noch einmal zu verstärken. T'sani atmete einmal tief ein und umgriff, hinter ihrem Rücken, das mitgeführte Datapad. Sie schloss für einen Moment ihren dunkelroten Blick und sortierte die Gedanken für das kommende Gespräch.
Rafale Goelands Schiff, die „Gambier Bay“ befand sich bereits seit zwei Wochen in ständiger Alarmbereitschaft im Privathangar der Firma, selten unterbrochen von Test- und Erprobungsflügen. Die Chiss durfte sich mittlerweile täglich die ungeduldigen Wasserstandmeldungen ihrer Freun... Verlobten anhören. Es war noch immer ein allzu ungewöhnlicher Gedanke für sie. Ihr Familienstand - nicht das verständliche Drängen Rafales, die sich zu Recht Sorgen machte, daß sie ihr Schiff auf Rhu Caenus nicht ewig vor allzu neugierigen Blicken würde verbergen können – Privathangar hin oder her.
Es war ihr ausgesprochen unangenehm und zu einem schwerwiegenden persönlichen Problem geworden, Rafale immer weiter hinhalten zu müssen. Weiterhin hatte der Sicherheitsdienst, dem sie als Leiterin vorstand, eine erhöhte Anzahl von Cyberangriffen festgestellt und sie war sich auch sicher, daß die Firma auf verschiedenen Ebenen infiltriert wurde. Malica hatte bisher ihre Anfragen diesbezüglich immer mit den gleichen, ausweichenden Phrasen abgetan. Die Chiss hatte das Gefühl ins taktische Hintertreffen geraten zu sein. Heute wollte sie das alles noch einmal vortragen und entschlossen auf einen pragmatischeren Umgang drängen.
Und schließlich war da noch eine Angelegenheit, die sie schon seit Wochen mit sich herum trug, die schwer an ihr nagte: Es wurde endlich Zeit Malica zu sagen, daß sie ihre nahe Zukunft nicht mehr in der Firma, an Malicas Seite sah. Ein schwerer Gang, wenn man wusste, daß sie einen Großteil ihres bisherigen Lebens damit verbracht hatte, der Baronin zu dienen. Die beiden verband eine gemeinsame Geschichte, deren Details die meisten Wesen der Galaxis wohl für unvorstellbar halten würden.
Die Dinge hatten sich jedoch geändert, auch wenn klar war, daß sie Malica in dieser schwierigen Phase nicht im Stich lassen konnte. Sie würde die aktuelle Krise an ihrer Seite beenden. Dann würde sie frei sein und endlich stünden Schwimmunterricht und Angelausflüge am Goldstrand auf ihrer persönlichen Agenda ganz weit oben.
Etwas stimmte ganz und gar nicht. Mit dieser Erkenntnis fand augenblicklich eine kontrollierte Flutung ihres Körpers mit Adrenalin statt. Neben der Tatsache, daß Malica ihre Sicherheitschefin jetzt schon ein klein wenig länger warten ließ als es sich für die Chiss „normal“ anfühlte, sprang überraschend ein beunruhigendes Detail in ihre Wahrnehmung. An der linken Seite des Sessels hing Malicas Hand schlaff neben der Armlehne herab. Dies war von T´sanis Position, hinter dem ausladenden Möbelstück, bisher kaum zu erkennen gewesen.
Augenblicklich warf sie das Datapad achtlos auf den Schreibtisch und überwand die kurze Entfernung zu der Baronin mit wenigen, schnellen Schritten. Massive Besorgnis breitete sich in ihr aus. Was war Geschehen? Ein Angriff, hier im Allerheiligsten? Es war praktisch unmöglich an den ausgeklügelten Sicherheitssystem, den Wachen und der KI des Konzerns unbemerkt vorbei zu kommen. Ganz abgesehen von den beeindruckenden Fähigkeiten, wie sie die Tochter einer mächtigen Sith zweifellos besitzen mußte.
Der folgende Anblick war niederschmetternd. Malica Crey saß zusammengesunken in ihrem Sessel, ihr Körper erschlafft, der Kopf lag kraftlos auf ihrer Brust auf. Ihre noch immer makellos schwarzen Haare waren ihr tief ins Gesicht gefallen. Eine eigenartige Kälte ging von dem hilflosen Körper der Baronin aus und unterstrich den erschreckenden ersten Eindruck, hier einer Leiche gegenüberzustehen. Zögerlich streckte die Chiss ihre Hand aus, strich die Haare beiseite und berührte den Hals der Frau, um den Puls zu überprüfen. Die Haut der Baronin fühlte sich tatsächlich unerwartet kühl an, trotzdem konnte die Chiss, zu ihrer Überraschung, einen schwachen Puls ertasten. Als sie schließlich den Zeigefinger unter das Kinn Malicas legte und es sachte nach oben drückte durchfuhr die Chiss ein elektrisierender Schrecken. T´sani konnte sich nicht an ein vergleichbares Auftreten ihrer Herrin erinnern. In keinem ihrer zwölf Jahre Dienstzeit hatte sie diese Frau je so gesehen. Das sonst so jugendlich-freundliche Gesicht der Baronin war in ein Zerrbild ihrer selbst verwandelt.
Pergamentfarbene Haut, durchzogen von hässlichen, blauschwarzen Äderchen, tiefen Falten und unzähligen Mikroverletzungen ließen nur die Person erahnen, die an dieser Stelle sonst zu erkennen war. Mehrere Sekunden lang war sich T´sani sicher, eine Todgeweihte vor sich zu haben, die Opfer einer Vergiftung oder einer grässlichen Erkrankung geworden war.
Sie aktivierte mit ihrer Linken das Comlink und befahl ein Notfallteam in die Büros der CEO. Plötzlich und unvermittelt öffnete diese jedoch ihre Augen, die T´sani in einem unnatürlich blinden Weiß fixierten. Die unerwartet starke Hand einer nunmehr alten, kranken Frau packte die Chiss am Arm und zog sie unvermeidlich näher zu sich herab. Der Schmerz, welcher der Griff mit mechanischer Kraft auslöste war überraschend stark und entlockte T´sani ein leises Keuchen.
„Was, bei bei allen Höllen, ist passiert, Malica?“ brachte sie schließlich ängstlich hervor, unfähig ihren Blick mit aufgerissenen, ungläubigen Augen von dem näher kommenden Gesicht abzuwenden. Das entstellte Antlitz der Baronin verzerrte sich als es die Karikatur eines unheilvollen Lächelns formte und ihr ein leises Wort über die rissigen, ausgetrockneten Lippen schlich: „Mutter …“.
Diese knappe Information traf die Chiss mit beispielloser Gewalt. Unwillkürlich trat sie ein, zwei Schritte zurück bis sie schließlich inne hielt und den verkrampften Körper Malicas dabei zusah, wie er wieder leblos zurück in den Sessel sank. „Der Geist der Vergangenheit...“, ging es T´sani durch den Kopf, die sich bisher eigentlich recht sicher war, nicht an Gruselgeschichten zu glauben.