Nar Chunna, eine Armenklinik auf den unteren Ebenen, mittags
Sie wartet in Sams Büro, die Beine lang ausgestreckt, die Füße über einem zweiten Sessel übereinandergeschlagen, einen Cafbecher auf dem linken Knie balancierend. Warum genau hat sie Sam nicht vorher angerufen? Davon auszugehen dass er immer hier ist, ist nüchtern betrachtet totaler bullshit.
Nar Chunna ist die vorletzte Station auf ihrer Reise – der zweite Planet der unlösbar mit der Person verknüpft ist die sie jetzt ist; bedeutend mehr im Schlechten als der nur zwei Sprungstunden entfernt liegende Groth.
Das letzte Mal als sie hier gewesen ist, hat sie Sam ein Angebot gemacht; es ging um Geld. Geld dass er für den Fortbestand der Klinik so dringend braucht und das sie bereit gewesen ist, ihm zu beschaffen – ein Angebot dass sie nun zurückziehen muss, weil es nicht aufrechtzuerhalten ist. Der Barstick aus dem Casino würde als brauchbare Entschädigung dienen - hofft sie zumindest.
Danach würde sie zurück nach Shaddaa fliegen; da ist sie zwar vor zwei Tagen schon gewesen, hat sich mit Alan getroffen, die Miet- und Schmiergeldverträge der Hangars aufgelöst und die Flip Coin tief in der Wartungszone des Akulo eingelagert, aber sie hat es nicht über sich gebracht, zu Snatch zu fahren. Noch immer weiß sie nicht, wie sie dem Cyborg begreiflich machen soll dass sie geht, aber verdammt, Alan hat Recht; es ist das Leben das sie führt, nicht das der anderen!
Nachdenklich sieht sie in den Dampf der aus dem Caf emporsteigt, lässt die Gedanken durch die letzten zehn Jahre ihres Lebens schweifen, reflektiert Entscheidungen die sie getroffen hat. Gründe, warum sie sie getroffen hat. Auf Csilla warnt man die, die außerhalb der Ascendancy für das Reich arbeiten, davor. Man könne sich nicht lange unter Barbaren aufhalten ohne einer zu werden, das hat sie bestimmt hundert Mal gehört. Jede Rückkehr ist von psychischen Belastungstests begleitet gewesen um sicherzustellen dass die nicht abfärben.
Aber das tun sie, und zwar verdammt schnell. Man wird zu einem von ihnen, ohne dazuzugehören. Ohne gelernt zu haben, damit umzugehen. Egal wie sehr man versucht, ihre Welt auf Abstand zu halten, etwas kommt durch. Erst nur wenig, dann mehr und immer mehr, das gegen die sorgsam aufgebauten Barrikaden anrennt, bis es einen Punkt erreicht, der nicht mehr kontrollierbar ist und alles einreißt. Es ist der Punkt an dem man eine Wahl treffen muss – mit all ihren Konsequenzen.
Sie hat sich entschieden als die Flip Coin von Dromund Kaas aufgebrochen ist, egal wie sehr sie später noch versucht hat zu relativieren oder nicht darüber nachzudenken, indem sie sich erst mit kleinen und großen Zielen beschäftigt gehalten und dann eine Gedankensperre verhängt hat um Urlaub zu machen.
“Vielleicht versuchen Sie auch einfach mal Ihren Urlaub zu genießen. Und sagen mir danach wie man einen Urlaub genießt.“
Schief grinsend nippt sie an ihrem Cafbecher. Ja. Nee. Irgendwie nicht. Das würde ein bisschen zu weit führen und nur peinlich werden. Verdammt, Alderaan ist einer der schönsten Planeten der ihr bekannten Galaxie. Sie würde sofort zu den drei Tagen zurückkehren, und das trotz dieser Alptraum-Seifenblase, die so vieles von dem beinhaltet, was sie tief verabscheut; die zahlreichen anderen Momente sind es einfach wert gewesen!
Sobald sie wieder auf Coruscant ist, würde sie sich bei Blondie melden – genug Zeit, die Sache mit dem Urlaub in etwas Allgemeingültiges zu formulieren. Ob die These Bestand hat kann man an einem einzigen Fallbeispiel sowieso nicht prüfen.
Sie hat sich auch bei dem Jedimeister gemeldet, noch von Alderaan aus. Er hat ihr eine Frage gestellt, auf die sie ihm eine Antwort schuldig geblieben ist. Sie lautet ja.
„Die Sache mit den Coms und ihren lustigen Nummern hast du aber schon verstanden, oder?“, reißt Sams Stimme, begleitet vom leisen Zischen der Bürotür, sie aus ihren Gedanken. „Gut siehst du aus, Trigger, auch wenn du dir das Stirnrunzeln sparen solltest.“ Lächelnd tippt er sich gegen die Stirn. „Hab mal gehört, das bleibt so, wenn man nicht aufpasst.“
Sie sieht auf, runzelt die Stirn noch stärker und hebt einen Mundwinkel, mustert den schlacksigen Menschenmann mit der Armprothese auf seinem Weg um den Schreibtisch herum. „Na, solang'ich nur halb so'viele Krater im'Gesicht hab'wie du, is'ja noch alles'in Ordnung, Sam.“ Er sieht alt aus, obwohl er jünger ist als sie; die Ebene und seine Arbeit hier haben ihn übel ausgebrannt, das fällt ihr immer wieder auf, wenn sie hier ist. „Ich'hab übrig'ns 's Gleiche gedacht, was'die Coms angeht. Eeh, war nich'der Plan dass'de dich meldest?“
Er winkt ab, lässt sich auf den Stuhl jenseits des Schreibtischs fallen und angelt nach der Cafkanne, zieht von irgendwo unten eine Tasse hervor. „Die republikanischen Verträge mit den Schnecken haben ein bisschen was durcheinander geworfen, gab bis jetzt keine gute Gelegenheit.“
Sie nickt einmal, kaut an der Innenseite ihrer Unterlippe herum, während er sich einschenkt. Dass der Krieg inzwischen auch den hutt space beeinflusst, ist ihr nicht neu.
„...und trotzdem bist du hier“, fährt er beiläufig fort und stellt die Kanne wieder ab. „...welche Form von Selbstgeißelung ist es dieses Mal?“
Sie ächzt entnervt und verdreht die Augen. „Gar'keine“, murrt sie über den Tisch. Sie kann diesen Blick nicht leiden. Dieses milde Lächeln auf seinen Lippen. Am Ätzendsten findet sie, dass sie weiß dass es echt ist. „Hatt'n wir'das nich'das letzte Ma'schon?“
„Jep, hatten wir.“ Er nickt und lehnt sich zurück, die Tasse in beiden Händen. „Ich bin nur überrascht, das dieser...“ Die linke Hand löst sich und winkt vage in ihre Richtung. „...Zustand scheinbar anhält.“
Das letzte Mal hier gewesen ist sie vor fünf Monaten. Als sie die Planung für den Ausstieg aus der imperialen Welt gerade angeschoben hat, das Ziel bereits bestimmt gewesen ist. Etwas über einen Monat, nachdem in einem Café über Coruscant beschlossen wurde nichts zu ändern. „Ernsthaft, du kannst mich“, brummt sie und nippt an ihrem Caf. Sie ist auch überrascht, dass dieser Zustand anhält, verdammt. Es ist nicht gerade so als hätte sie das geplant!
„Na, zumindest steht er dir“, nickt er ihr zu und trinkt ein paar vorsichtige Schlucke, ehe seine Tasse wieder auf den Tisch und sein rechter Arm auf die Lehne wandert, den linken lässt er in den Schoß fallen. „Kriegst du es heute hin, ihn zu präzisieren?“
Sie schüttelt den Kopf und senkt den Blick auf ihren Becher. „Geht'dich nix an. 'sweg'n bin'ich auch gar nich' hier.“
Er zuckt leicht mit den Schultern. „Dann könntest du ja einfach mal ausspucken warum du hier bist, hm? Bringt mich ums Raten.“
„Ich...“ Sie zieht die Brauen zusammen und wendet das Gesicht ab. „...muss'mein Angebot zurückzieh'n.“
Er schweigt. Sie schließt die Augen, kaut weiter auf der Innenseite ihrer Unterlippe herum.
„Ich warte...“, durchbricht er nach Sekunden die unangenehme Stille, sein Ton ist nicht bitter, wenn auch ernst. „...denn das solltest du vielleicht präzisieren.“
Sie nickt matt, atmet tief ein und langsam wieder aus. „Ich'zieh um. Äh, bin umgezog'n.“ Langsam wendet sie ihm das Gesicht wieder zu. „Irg'ndwie so...“, fügt sie murmelnd an.
„...und?“ Er hebt die Hand von der Lehne, lässt sie auffordernd am Handgelenk kreisen.
„'s is'... kompliziert“, presst sie hervor und zuckt etwas hilflos mit den Schultern.
Er schmatzt nüchtern, schüttelt leicht mit dem Kopf, schweigt aber.
„Ich'will... 's hinner'mir lass'n. Also... 's alles“, murmelt sie weiter.
„Wo genau ist das kompliziert?“ Fragend runzelt er die Stirn und neigt den Kopf etwas.
Sie schnaubt, schüttelt den Kopf und brummt leise: „Quasi überall...“
„Nope.“ Er lehnt sich vor und stützt sich auf den Unterarmen auf der Schreibtischplatte ab, schiebt beiläufig seine Caftasse von einer Hand in die andere. „Ich find das ganz einfach.“
Fragend runzelt sie die Stirn.
„Ich hab dir schonmal gesagt, dass dein Problem ist dass du kein Arschloch sein willst. Ist mir total egal, wann du das begriffen hast, wie du es begriffen hast, letztendlich zählt doch nur dass das bei dir auch irgendwann mal angekommen ist.“ Er schmunzelt. „Oh, und dass ich Recht hatte, natürlich. Das zählt auch.“
„Eeh...“ Sie blinzelt verblüfft.
„Hör mal, du schuldest mir nichts. Du schuldest Chunna nichts. Der Klinik auch nicht. Ich hab dein Angebot echt geschätzt, aber nicht der Kohle wegen sondern weil du es überhaupt gemacht hast.“
Sie blinzelt nochmal.
„Scheiße Trigger, in meiner Realität sind wir Freunde!“, schnaubt er. „Was hast du eigentlich erwartet, als du hierher gekommen bist? Dass ich drauf bestehen würde?“ Nochmal schnaubt er, die Brauen ziehen sich verärgert zusammen. „Hau ab, verflucht. Lass es hinter dir, wenn du kannst. Das ist grob das, was ich auch mache, nur... anders!“
Ein drittes Blinzeln, vorsichtig tastet ihre Hand im Gürtel nach den Stickeinschlüssen, sie zieht den Barstick aus dem Roundabout hervor, legt ihn auf den Tisch und schiebt ihn mit dem Zeigefinger auf dem Display über die Platte.
Sein Blick folgt der Bewegung, die Unterlippe schiebt sich leicht vor.
„Hum, ja... äh...“ Sie lächelt peinlich berührt. „Schätz, du kannst'das besser brauch'n als'ich.“ Schulterzuckend zieht sie die Hand zurück.
Jetzt blinzelt er. Lacht irritiert auf. „Huttenscheiße, du willst mich doch verarschen!“
„Äh... nee?“ Abrupt lässt sie die Füße vom Stuhl gleiten und kommt zum Stehen.
Er hält den Kopf weiter auf die Tischkante gesenkt, sein Blick allerdings folgt an den Brauen vorbei ihrer Bewegung. „Hab ich dir schonmal gesagt, dass du total kaputt bist?“, fragt er etwas gedehnt.
„Hmja“, murmelt sie. „Öfter.“
Er nickt langsam. Greift jäh nach dem Stick und hebt den Kopf. „Danke, Trigger. Wirklich.“ Betreten senkt sie unter seinem aufrichtigen Lächeln den Blick auf ihre Fußspitzen. Das fällt auch in die Kategorie sentimentaler bullshit und macht sie verlegen!
„Bye, Sam“, murmelt sie leise und wendet sich der Tür zu.
„Bye, Trigger“, antwortet er weich. „Viel Glück.“
Hastig verlässt sie das Büro. Bevor sie noch anfängt zu heulen!