Familie

Viel Geld hatten wir nie. Und an meinen Vater hab ich keine Erinnerung. Aber Mama hat immer gesagt er hat uns einfach nicht geliebt, das würde
niemand je tun. Und wir wären Schuld dass er fort gegangen ist. Lissy und ich. Heute denke ich sie hatte Unrecht. Ich habe Lissy geliebt und sie mich. Soviel weiß ich jetzt. Aber damals...



Der Wind pfiff kalt durch die Löcher im Holz der Wände, während der Regen fast schon peitschend auf den Boden einschlug. Innerhalb der Wände tropfte es nur an zwei Stellen. Das Wasser wurde mit einem Eimer und einem Kochtopf aufgefangen, während es viel zu ruhig für ein Haus mit zwei kleinen Kindern war. Mama schritt vor uns auf und ab und sah mit strengem Blick zu uns. "Na schön...ihr habt es ja nicht anders gewollt." Beunruhigt tauschten wir einen Blick, als sie Lissy auch schon am Kragen packte und mich zur Seite schubste, so dass ich auf den Boden fiel. "Aber Mama! Wir haben doch....""Halt den Mund!" Sie riss die Tür auf und schleuderte Lissy nach draußen. "Hier bleibst du bis du deine Lektion gelernt hast und wag es ja nicht wieder von selbst herein zu kommen." Womit die Tür polternd zuschwang, der Schlüssel gedreht und abgezogen wurde. Ihr Blick fiel auf mich, wie ich auf dem Boden kauerte und erschrocken die Tür anstartte. Ich wusste Lissy hatte Angst allein. Und noch mehr fürchtete sie sich vor Gewitter. Es dauerte auch nicht lang, bis ich sie weinen hörte und die Sorge um meine Schwester ließ mich unaufmerksam werden. So hatte ich keine Möglichkeit dem festen Schlag gegen mein Gesicht auszuweichen. "Wenn du sie hier wieder rein lässt, schwöre ich werde ich dich tot prügeln." Auch mir stiegen Tränen in die Augen, aber ich hatte gelernt lautlos zu weinen. Während Mama sich mit einer Flasche Wein auf den Sessel vor den Kamin setzte, krabbelte ich vorsichtig zur Tür, wo Lissy verzweifelt schrie und gegen die Tür klopfte. Ich warf einen kurzen Blick zurück und war froh das Mama mit dem Rücken zu mir saß. Leise flüsterte ich: "Lissy, mach dir keine Sorgen. Ich bin da. Du bist nicht allein." Das Schreien hörte nicht auf. Genauso wenig wie das Klopfen. Ich flüsterte nochmal, aber es half nichts. Dann versuchte ich es etwas lauter, woraufhin der Kopf von Mama herum ruckte. "Ich sagte doch du sollst den Mund halten kleine Kröte!" Meine Lippen pressten sich aufeinander und ich wagte nicht zu sprechen, aus Angst vor noch mehr Schlägen. Ich war mir auch sicher sie würde ihre Drohung wahr machen. Also blieb mir nichts um meiner Schwester zu helfen, die noch immer voller Furcht schrie. Ich wusste aber auch das Mama sich das nicht lange anhören würde und vielleicht Schlimmeres tun würde. Der Spalt unter der Tür war eng, aber vielleicht würde ich es ja trotzdem schaffen...Ich legte mich vor die Tür und versuchte meine Hand darunter hindurch zu schieben. Sie passte nicht wirklich, aber Lissy brauchte mich. Also drückte und quetschte ich, so dass es weh tat und die Haut aufriss. Aber es gelang mir meine Hand hindurch zu pressen. Ich wackelte mit den Fingern um meine Schwester darauf aufmerksam zu machen und es dauerte auch nicht lang, bis sie meine Hand griff und festhielt. Das Klopfen verstummte und sie wimmerte nun nur noch. Ich glaube es war eine halbe Ewigkeit die verging und meine Hand begann taub zu werden. Mama holte sich eine weitere Flasche und als diese zur Hälfte leer war, erhob sie sich erneut um zur Tür zu kommen. Ihr Gang war nicht mehr ganz gerade und der Blick wirkte trüb. Sie warf den Schlüssel vor mir auf den Boden und als sie sprach klang es irgendwie undeutlich. "Hol eie Schwesta rein." Ich nickte nur und versuchte meine Hand wieder hinein zu zwängen.
Abermals presste ich die Lippen aufeinander, diesmal allerdings um keinen Schmerzenslaut von mir zu geben. Ich kniff die Augen zusammen und ruckte einmal mehr heftig, bis ich sie wieder unter der Tür hervor hatte. Sie sah verschrumpelt vom Regen aus und der Handrücken war zerschrammt. Nachdem das Wasser aufgehört hatte alles wegzuspülen, trat auch wieder Blut hervor. Aber das war nicht wichtig. Lissy durfte wieder hinein. Ich erhob mich und schloss schnell die Tür auf. Mama legte mir dabei eine Hand auf die Schulter. Wohl um sich abzustützen. Als Lissy eintrat, sah sie aus wie ein Häufchen Elend. Ihre Lippen waren ganz blau und sie zitterte am ganzen Leib. Ihre Sachen waren vollkommen durchnässt und von ihren Haaren perlte das Wasser. Ich wusste nicht was von mir erwartet wurde und sah zu Mama auf. Sie lächelte flüchtig und beugte sich langsam hinab um mich zu umarmen, wobei sie mit einer Hand auch noch Lissy zu sich zog. "Ihr wissd dassich das machn muss...damid gude Mädch'n aus euch wern, hm? Mama had euch lieb!"