Ein Neuanfang
~ Corellia, Winter 22/23 NVC ~
Mit einem Lächeln schaute er der jungen Pilotin Navari hinterher, die gerade mit recht müden Augen und – wie es den Anschein hatte – leicht beschwipst Mallins Büro verließ. Nein, nicht Mallins. Seins. Kopfschüttelnd griff er nach seinem Glas, füllte es erneut zwei Finger breit mit dem süffigen, hellen Turhaya Whiskey und ging dann, mit der Dokumentenmappe unterm Arm, um den Schreibtisch herum und nahm dahinter Platz. Seinen Schreibtisch, dabei strich er mit den Fingern seiner freien Hand langsam über das Schild, das darauf stand: CEO Lagopus Buteo.
Lächelnd ließ er sich nieder. Mallin – oder vielmehr Sophilia – hatte wirklich an alles gedacht.
Er legte die Mappe nieder und nahm einen tiefen Zug von dem vertrauten Duft, der in der Luft hing.
Süße Vanille gepaart mit scharfem Whiskey und eine Note Holz, wobei nicht festzustellen war, ob diese von dem alten, schweren Holztisch ausging oder von den Whiskeyfässern der Brauerei stammte.
Fast zärtlich strich er über die Einkerbungen, Kratzspuren und kindliche Zeichnungen der Geschwister, die sich als ewige Erinnerungen ins Holz des Tisches eingegraben hatten, während er sich in dem Sessel zurück lehnte und einen Schluck vom Whiskey nahm und diesen auf der Zunge zergehen ließ. Kurz schmunzelte er dabei, als er daran dachte, wie wenig seine neue Mitarbeiterin gewohnt war und vertrug.
Dann beugte er sich wieder vor, schob die Mappe mit den noch nicht unterschriebenen Übereignungsverträgen beiseite und richtete sein Augenmerk auf die drei Kartons mit Akten, die auf dem Tisch standen und auf ihn zu warten schien.
Warum er nun nach Alderaan musste, um die Verträge zu unterschreiben, war ihm ein Rätsel. Aber da keiner anwesend war, um ihm seine Fragen zu beantworten, musste dieses Rätsel wohl warten.
Vermutlich hatte sich Mallin, der alte Fuchs, mit Absicht vor seiner Ankunft auf Corellia aus dem Staub gemacht, um genau diesen Fragen aus dem Weg zu gehen.
Lago konnte es ihm nicht verübeln. Es war nicht fair gewesen, den alten Mann und treuen Geschäftsführer von Ka-Tet in seinen persönlichen Disput mit Sophilia hineinzuziehen und als Mittler zu missbrauchen. Und trotzdem schien seine Strategie aufgegangen zu sein, denn immerhin hatte sie allen seinen Punkten, die er im Vertrag geändert haben wollte, zugestimmt. Selbst ihrer weiteren Anstellung in der Brauerei.
Schmunzelnd öffnete er den Deckel der ersten Kiste, die die Aufschrift „Personal“ trug.
Aufmerksam studierte er die darin enthaltene Personalakten, die ein ausführlicher waren, als er erwartet hatte. Zu jedem und jeder Angestellten hatte Sophilia handschriftliche Notizen beigefügt. So als wolle sie sicher gehen, dass er genau wisse, mit wem er es in Zukunft zu tun hatte – und seine Mitarbeiter nicht nur kannte, sondern schätzte. Mit ihren persönlichen Notizen legte sie sie ihm ans Herz. Ein weiterer Grund, warum er nicht verstand, dass sie die Firma ihm übergab, wo sie ihr doch augenscheinlich so viel bedeutete.
Kopfschüttelnd wandte er sich den anderen beiden Kartons zu, die eine Übersicht über den Kundenstamm der Firma und über deren Bilanz beinhalteten. Alles machte den Eindruck einer gut laufender und gut organisierten Firma. Auch wenn sie rein äußerlich nicht immer diesen Anschein erweckte. Aber was anderes hatte er bei Sophilias Drang zur Perfektion auch nicht erwartet.
Nur verstand er immer noch nicht, warum jetzt? Warum wartete sie nicht, bis Lago jr. alt genug war, sein Erbe anzutreten? Alles machte den Eindruck, als wenn sie viel Zeit in diese Übergabe gesteckt und diese von langer Hand vorbereitet hatte. Aber warum sie dies alles tat, warum sie die Firma jetzt schon und überhaupt noch in seineHände legen wollte, das entzog sich seinem Begreifen.
Seine grübelnden Gedanken und sein aus dem Fenster schweifender Blick wurden plötzlich von einem Rattern unterbrochen, das aus den Wänden zu kommen schien. Nur wenige Augenblicke später landete eine Röhre mit dumpfem Schlag im Ausgabekorb der altmodischen Rohrpost, die man intern hier zwischen den einzelnen Abteilungen verwendete. Neugierig erhob Lago sich aus seinem Sessel und ging zu der antik aussehenden Apparatur hinüber.
Er nahm die Röhre in die Hände, öffnete sie und zog ein zusammengerolltes Stück Papier heraus. Ein Willkommensgruß der Mitarbeiter im Haus. Lago schmunzelte. Natürlich war er nicht davon ausgegangen, dass seine – diesmal doch recht turbulente und spektakuläre – Ankunft von den Mitarbeitern der Brauerei unbemerkt geblieben war. Und auch die überaus freundliche, ja schon fast persönliche Begrüßung durch die Mitarbeiter, denen er auf den Weg zum Büro begegnet war, war ihm aufgefallen. Dennoch hatte er nicht damit gerechnet, dass tatsächlich schon alle über den anstehenden Wechsel informiert waren und ihn mehr oder weniger schon als den neuen Besitzer ansahen. Immerhin waren die Verträge noch nicht unterschrieben.
Aber sowohl Sophilia als auch Mallin schienen dies nur noch als Formsache zu betrachten.
Er ging zum Schreibtisch zurück, leerte sein mittlerweile viertes oder fünftes Glas und blickte auf das Chrono am Schreibtisch. Es war spät geworden. Lächelnd legte er das Papier, auf das irgend ein mutiger Mensch ein Schneehuhn gemalt hatte, auf die Mitte des Tisches. Dann öffnete er am Schreibtisch befestigten Schubladen, um die Akten aus den drei Kisten darin zu verstauen.
Als er die letzte Schublade wieder schließen wollte, stieß er auf einen Widerstand, der sich irgendwo ganz hinten verkantet haben musste. Stirnrunzelnd kniete Lago sich hin, um mit der ausgestreckten Hand nach dem vermaledeiten Hindernis zu tasten. Schließlich bekam er einen faustgroßen, eckigen Gegenstand zu fassen, den er mit einiger Mühe frei ruckelte und heraus zog.
Erstaunt betrachtete er die Holzschatulle, die er nun in der Hand hielt. Langsam erhob er sich und ließ sich wieder im Sessel nieder, den er dann näher an den Tisch heran rückte, wo er die Schatulle neugierig ablegte. Das Holz wirkte alt, aber nicht so alt, dass es dort schon seit Jahrzehnten gelegen hätte. Mallin oder Sophilia mussten die Schachtel im Schreibtisch vergessen haben.
Mit geneigtem Blick und unsicher, ob er seiner Neugierde wirklich nachgeben sollte, öffnete er den hölzernen Kasten.
Was darin zum Vorschein kam, verschlug ihm für einen Moment die Sprache. Zwei glänzende Ringe starrten ihm entgegen. Funkelndes Weißgold mit zwei Ringschienen aus poliertem Holz und schimmerndem Perlmutt. Perlmutt aus dem Hoth'schen Meer, wie die beiliegende Beschreibung verriet.
Das Holz, vermutete Lago stammte wohl von der gleichen Quelle, wie das Holz der Schatulle, von alten Whiskyfässern.
Mit leicht bebenden Fingern nahm er einen der Ringe heraus und drehte ihn im Licht. Sophilia war in der Innenseite eingraviert zu lesen und als er den Blick auf den anderen Ring fallen ließ, erkannten seine scharfen Augen auch darin eine Gravur. Drei vertraute Buchstaben.
Kurz schnappte Lago, dem gar nicht aufgefallen war, dass er den Atem angehalten hatte, nach Luft.
Dann legte er den Ring zurück in die Schatulle und nahm die Karte zur Hand, die dabei gelegen hatte. Das Datum darauf stammte aus 21 NVC, aus einer noch glücklicheren Zeit. Schluckend drehte er die Karte um.
„Rate mal, woher das Metall stammt, was wir für den Vogel der Turhaya Flaschen verwenden“, stand dort in einer all zu vertrauten Handschrift, hinter der ein zwinkerndes Smiley gesetzt worden war. Und darunter kurz und knapp: „Heirate mich“ dazu ein geschwungenes Herzchen.
Das Herz kannte er. Es sah genauso aus wie jenes, dass sie am Morgen ihrer ersten Nacht mit Lippenstift auf seinem Pad hinterlassen hatte. Doch die Worte dazu waren neu.
Eine halbe Ewigkeit verging, in der er nur auf die Karte und ihre Worte starrte. Abgesehen davon, dass sein Blick hin und wieder zum Kopf der Whiskyflasche glitt, die er im Verlauf des später werdenden Abends zu sich auf den Schreibtisch geholt hatte.
Alles, jedes noch so kleine Detail, in allem, was ihn betraf, spiegelte ihm wieder, wie viel er ihr bedeutet hatte. Wie sehr sie ihn geliebt hatte.
Hatte.
Ein melancholisches Lächeln huschte über seine Lippen. Die Schatulle hatte nun über ein Jahr lang in der Schublade gelegen. Sie hatte sie dort vergessen. Vergangenheit. Abgeschlossen.
Oder doch nicht?
Sie hatte immerhin genauso viel Sorgfalt in die Übergabe ihrer Firma gesteckt, wie in das Design dieser Ringe oder in die Gestaltungseines Whiskeys. Und sie hatte ihn geradezu dazu genötigt, die Firma zu übernehmen. Erpressung war ein anderes Wort, dass ihm dazu einfiel.
Seine Mundwinkel zuckten und das trübselige Lächeln wandelte sich langsam aber sicher in ein breites, spitzbübisches Grinsen.
Ein weiterer Blick auf die Karte ließ nun sein Herz schneller schlagen. Mit einer Zuversicht, von der er selber nicht genau wusste, woher sie kam, steckte er Karte und Schatulle in die Innentasche seiner Drelliadjacke und erhob sich aus seinem Sessel. Beschwingten Schrittes verließ er sein Büro. Er schlenderte durch die nun mittlerweile leeren Flure der Brauerei und kehrte zu seinem Schiff zurück, wo die Verladearbeiten mittlerweile abgeschlossen sein sollten und seine junge Pilotin längst in einer der Kojen liegen sollte. Es war ein langer Tag gewesen – und eine noch viel längere Nacht. Unmöglich bei dem Gedanken daran das Grinsen von seinem Gesicht zu wischen, stiefelte er aufgekratzt, wie schon seit langem nicht mehr, die Laderampe zum Light Buzzard hoch.
Nächster Halt: Alderaan.