Kratzen im Hals


  • Jagd


    Erst als Rafale in wildem Sprint durch den Ausgang zum Park rannte, fiel ihr auf, dass es wohl Abend sein musste, die Ereignisse hatten sie komplett ihres Zeitgefühls beraubt. Aber es war gleichgültig, sie musste einfach nur hier raus und sie kannte den Weg. Ob die Eile überhaupt nötig war? Maniss hatte schließlich die Giftladung bekommen und Antalus war zwar eine ruchlose Mörderin, aber kaum in der Lage, ihr nachzusetzen. Sollte sie es riskieren, sich zu schonen, ihrem wild hämmernden Herzen eine Chance geben, das heiß durch ihre Adern rauschende Adrenalin abzuarbeiten? Nein! Ihr Instinkt riet ihr, alles zu geben, was ihr Körper hergab und so spurtete sie den Parkweg entlang, ein flüssiger Schatten zwischen den Lichtinseln der niedrigen Weglaternen. Kies spritzte auf, als sie durch den um diese Zeit verlassenen Park hetzte, der Schweiß formte sich zu kleinen Bächen, die ihr am Rücken, zwischen den Brüsten und entlang der Arme rannen, ohne ihren Körper wirklich zu kühlen.


    Waren das nicht Schritte hinter ihr? Noch in weiter Ferne, aber es waren doch Schritte, oder nicht? Nicht umdrehen, Goeland, mach dich nicht verrückt. Du bist allein, und wenn du so weiter rennst, bleibst du es, bis du zum Posten der CPU an der Ecke Belassa Drive/Long Divide kommst! Sie rauschte wie ein entfesselter Windstoß ( und nichts anderes bedeutete ja der Name „Rafale“ ) an einem betörend duftenden Blumenbeet vorbei, und da war es wieder. Es waren wirklich Schritte. Schwere, eilige Schritte. Zum Frell, fluchte sie vor sich hin, bemühte sich, noch schneller zu laufen, aber sie war ohnehin am Maximum angelangt. Und die Schritte waren lauter geworden, die Person rannte, und sie rannte ihr nach! Ihre Kehle formte einen Kloß, und als sie es endlich wagte, für einen winzigen Moment nach hinten zu sehen, entdeckte sie einen riesigen Schemen, der tatsächlich auf ihrem Weg rannte. Maniss! Zum Rodder, wie kommt der dazu? Rafale gab ein klägliches Stöhnen von sich, sie hätte vor Zorn losheulen mögen. Warum macht er das? Das Spiel ist doch eh aus, ganz egal, ob er mich nun noch einholt. Sicher waren schon Polizeikräfte wegen der Schießerei auf dem Weg in die Klinik. Und außerdem.... ihr gefror das Blut in den Adern.


    Klar Goeland, klar! Du hast ihm eine tödliche Giftdosis verpasst, er will dich mitnehmen, er wird dich einholen und töten! Jammernd sprintete sie weiter, das war alles, was sie tun konnte. Mit zunehmender Verzweiflung verschwommen die Konturen der Parklandschaft, sie rauschte wie besessen davon, nur weg, nur weg! Die von den Laternen geworfenen Schatten ihrer rennenden Beine jagten mal voraus, mal hingen sie hinterher, und sie wünschte sich innig, dass sie einfach nur noch schneller voran kämen. Und doch, die Schritte des Zabrak wurden lauter, man hörte auch schon seinen Atem, er holte auf! Verdammt! Wenn er nun schießt? Nah genug zum Zielen sollte er sein. Nein, er hatte keinen Blaster dabei, den hätte er längst benutzt, er hatte an der armen Rys demonstriert, wie gut er schießt. Er hatte die Waffe dagelassen, oder dalassen müssen, egal. Er würde sie auch so töten können. Schaudernd dachte sie an die riesigen Hände. Und kurz darauf wurde sie dann auch schon von einem mächtigen Schlag in den Rücken von den Beinen gerissen. Sie strauchelte, fiel hin, schlug sich beide Knie und die Hände auf, kam dann schließlich zum Liegen. Und er stürzte sich mit der unwiderstehlichen Wucht eines Raubtieres auf sie. Drehte sie auf den Rücken, und noch bevor sie wirklich bei Sinnen war, klammerten sich seine riesigen, gnadenlosen Hände um ihre Kehle. Ihr blieb die Luft weg! Eine einsame Laterne warf ein dämonisches Schlaglicht auf seine verzerrten Gesichtszüge, eine Grimasse der Mordlust.


    Zum Rodder, er hat drei Injektionen bekommen und läuft noch wie ein Corelympics-Athlet hinter mir her? Warum fällt er nicht endlich tot um, warum stirbt er nicht, verfrellt nochmal? Oh bitte! Stirb doch endlich! Wie ein zweites Ich sprachen ihre Vorwürfe gegen die Gerechtigkeit der Galaxis los, während ihr langsam der Atem wegblieb. Sie lag hilflos da, er auf ihr. Und es wirkte fast ein wenig lächerlich, wie ihre zierlichen Hände versuchten, diese Mordwerkzeuge von ihrem Hals wegzureißen. Genauso gut hätte sie versuchen können, einen XS-Frachter von ihrem Fuß zu stoßen! Ihr wurde zuerst schwindlig, dann schwarz vor Augen. Ihre Gedankenstimme neben sich sprach für sie. „So fühlt es sich also an, Goeland. Gerade eben noch dem Tod von der Schippe gesprungen und nun erwischt es dich doch noch. Warum stirbt der Kerl nicht einfach und lässt die Geschichte ihren Lauf nehmen? Sind Zabrak vielleicht gegen das Gift immun? Oder hast du den Injektor falsch benutzt? Dumme Rafale!“ Sie nahm ihre verbliebene Kraft zusammen, um ihm ein Knie in die Flanke zu treiben, aber sie konnte das Bein gerade mal anheben, mehr war nicht drin. Mit der pneumatischen Reserve der Synth-o-Flex hätte sie ein dünnes Blech einschlagen können, aber die war verbraucht, verbraucht beim sinnlosen Fluchtversuch! So ging es also mit ihr zu Ende.


    Da war es wieder, dieses Kratzen im Hals, diesmal durch würgende Zabrakhände ausgelöst. Die nächste Clitch-Flatrate im Slice würde ohne sie stattfinden. Sie spürte, dass sie bereits fantasierte. Wie sie sich vornahm, der „Sith im Spiegel“-Redaktion einen bösen Leserbrief zu schreiben für diesen blöden Artikel über die Reticulitis ( endlich einmal den Namen richtig ausgesprochen! ). Alles vorbei, gleich würde sie die Ewigkeit kennenlernen. Da, ihre geschundenen Knie schmerzten schon nicht mehr.... ihr wurde kalt, wenn auch nicht fröstelig... ein Gewicht legte sich auf ihren Brustkorb und den Druck auf ihrer Kehle spürte sie kaum noch. Vorbei, Goeland. Ein Zeichen, dass du hin bist, Mädchen. Dass du.... Moment? Der Druck lässt nach? Sie kniff die Augen fest zu. Zwang sich zu atmen. Ihr Stimm-Ich war verschwunden, sie fühlte einen Hauch kühler Nachtluft durch ihren schmerzenden Hals zischen. Es war mehr instinktiv als bewusst, denn ihr Verstand litt noch immer unter dem Sauerstoffmangel, aber schließlich regte sie sich und schob mit einigem Kraftaufwand den leblosen Körper des Zabrak von sich. Es war Zeit, ins Warme zu kommen.





  • Erlösung


    Rafale torkelte wie eine wild gewordene Windfahne, mal zur einen Seite des nächtlichen Parkweges, mal zur anderen. Mehrfach hätte sie fast den Blumenbeeten einen unfreiwilligen Besuch abgestattet, aber sie fing sich doch immer wieder im letzten Moment. Und mit jeder Minute, die sie ihren Weg in Richtung der Antalus-Klinik fortsetzte, trieb die gnädige Nachtluft die Benommenheit aus ihrem brummenden Kopf. Sie hatte sich nur ein einziges Mal nach dem toten Maniss umgedreht, der wie ein dunkles, gefallenes Gebirge mitten auf dem Weg zurück geblieben war, dann trieb sie ihre Gedanken mit aller Konzentration auf die kommenden Dinge zu. Ob schon Planetenpolizei vor Ort war? Was war aus Antalus geworden? War sie geflohen? Oder hatte man sie festnehmen können? Und... Rys. Erst jetzt realisierte sie mit voller Konsequenz, was da passiert war. Armes Mädchen. Auch, wenn ihr unerwartetes Auftauchen Rafales Leben gerettet hatte, das hatte sie doch nicht verdient! Die Kehle wurde ihr wieder eng, diesmal allerdings aus einem Gefühl der Trauer heraus, und sie kämpfte mit mäßigem Erfolg gegen die Tränen an. Die winzigen feuchten Bahnen auf ihren Wangen fühlten sich kühl an in der Nachtluft.


    Nach der Jagd durch den dunklen Park empfand sie das geöffnete Lichtmaul des Klinik-Eingangs als aufdringlich hell, fast blendend. Blinzelnd stolperte sie hinein, unsicheren Schrittes. Viel mehr als gemächliches Spaziertempo war nicht drin, ihre pneumatische Knieprothese war vollständig entladen und ihre Muskeln und Bänder trugen den Mix aus geheiltem Fleisch und Kybernetik noch nicht zufriedenstellend. Im Hauptgang angekommen, mündete sie in Scharen von wild diskutierenden Menschen ein. Panikschreie und Fluchtbewegungen waren abgeebbt, aber dafür waren die Gespräche umso energischer. Laute, harte Stimmen, die durch Modulation so etwas wie Autorität und Ordnung ausstrahlen wollten, versuchten das Chaos einzudämmen. „Bitte, gehen sie wieder in ihre Zimmer!“ „Hier gibt es nichts mehr zu sehen!“ „Bitte machen sie Platz für die Spurensicherung!“ „Bitte bleiben sie hinter den Absperrungen!“, hieß es. Niemand kümmerte sich darum, und Rafale konnte es nachempfinden. Hier war schließlich etwas unfassbares geschehen. Ungelenk schob sie sich durch die Menschentraube, sie wusste, wohin sie wollte. Gelegentlich bekam sie einen Ellenbogen in die Seite, man trat ihr auf die Füße, aber sie registrierte es nicht wirklich, ihre Gedanken waren schon in Antalus´ Büro vorausgeeilt. Einmal stieß sie sich das Knie an einem in der Menge eingekeilten Service-Droiden. Ein halb bewusster Griff und sie hielt ihr Lang Tsu-Stirnband in der Hand. Sie betrachtete es kurz, dann schüttelte sie den Kopf und stopfte das Band in die Hosentasche ihres verschmutzten und zerrissenen Sportanzuges. Das war nicht der Moment für David Quarrantine, hier ging es nur noch um das Aufräumen.


    Endlich erreichte sie den Eingang des Büros. Sicherheitskräfte hatten ein schmächtiges rot-gelbes Absperrband davor gespannt, es wirkte geradezu lächerlich angesichts der Ereignisse und der aufgebrachten Leute. Ohne sich darum zu scheren, schlüpfte Rafale unter der Barriere hindurch. Rys´ Körper lag noch immer niedergestreckt mitten in der Türöffnung, aber jemand hatte ihr gnädigerweise ein Laken übergeworfen. Mit unsicherem Schritt, als müsste sie Angst haben, Rys versehentlich zu treten, stakste sie über die Leiche hinweg, dann war sie drin. Im hell erleuchteten Büro war noch alles so, wie sie es verlassen hatte. Seltsam, es kam ihr vor, als sei sie vor Stunden aufgebrochen und fast hätte sie etwas anderes erwartet. Der einzige, wenn auch bedeutende Unterschied war Dr. Dr. Antalus. Zusammengesunken saß sie an ihrem mächtigen Schreibtisch, der Kopf vornübergebeugt und auf der Tischplatte abgelegt. Die schicke modische Brille lugte halb verbogen darunter hervor. In ihrer rechten, erschlafften Hand hing der Blaster, die Schusswunde in ihrer rechten Schläfe war unübersehbar. Sie hatte sich in den Kopf geschossen. Eine abstoßende Melange aus ionisierter Luft, versengtem Haar und verbranntem Gewebe reizte die Schleimhäute.


    Vorsichtig kam Rafale näher, sie konnte ihre Blicke nicht von der Toten lassen. Sie nahm nicht wahr, dass sie während der gesamten Zeit ständig den Kopf schüttelte. So ging es also zu Ende: Antalus hatte den einzigen Ausweg aus dem Deal gefunden. Als sie endlich vor dem Schreibtisch stand, fiel ihr der kleine handgeschriebene Zettel auf, der am Rand der Platte lag. Vielleicht hatte der Luftdruck des Schusses ihn soweit weggeschoben. Rafale nahm ihn behutsam auf, blinzelte kurz und las: „Ich versuche nach Möglichkeit, gerecht zu bleiben.“ Das war alles. Antalus hatte es zu ihr gesagt, noch vor kurzem erst! Nie hätte sie gedacht, dass diese Worte den Schlussstrich unter Antalus´ Leben ziehen würden. Sie blickte auf die Tote. Wahrscheinlich sie beide nicht. „Miss?“, unterbrach eine Männerstimme Rafales Gedanken, sie drehte sich um. Es war ein Polizist von der CPU. „Miss, würden sie bitte diesen Raum verlassen? Sie sollten wirklich nicht hier sein.“ „Ja... ja... Wenn sie wüssten, wie Recht sie haben, Officer.“





  • Epilog


    Der Goldstrand bei Bela Vistal, Corellia. Sanft rauschen die Wellen an den nächtlichen Strand, aus einiger Entfernung schwebt Tanzmusik von einer der zahlreichen Strandbars herüber, eine wunderschöne laue Nacht im Spätfrühling, eine von vielen. Rafale Goeland liegt etwas entfernt vom Party-Trubel in ihrem Liegestuhl, es ist noch immer warm genug für einen Badeanzug und einen eisgekühlten Hutta Libre. Einige Monate sind nun schon vergangen seit den Ereignissen in der Antalus-Klinik ( welche man eilig-beschämt in „Coronet PolyMedCenter“ umbenannt hatte ), aber hin und wieder -so wie gerade jetzt- holen die Erinnerungen sie ein. Dann setzt sie sich etwas abseits von Familie und Freunden, schnappt sich ihr Datenpad und blättert in ihren Aufzeichnungen, allein mit sich, den Sternen und ihren Gedanken.


    Bilder der Klinik. Ein Bild mit einer Clitch-Dose darauf. Eine Holo-Grußkarte von Geda Greson aus einer Kurklinik in Tyrena. Ein Zeitungsartikel der Corellian News Landscape CNL. In großen Flacker-Lettern steht da: „Schwester im Praktikum deckt Seuchen-Skandal in Coronet auf! Betrügerische Klinik-Leiterin tötet sie und begeht danach Selbstmord, ihr Komplize richtet sich nach kurzer Flucht ebenfalls selbst. Lesen sie mehr über das größte medizinische Drama seit der Drall-Pelzpest auf Seite......“ Rafale schaltet das Pad ab und legt es beiseite. Diese Interpretation ist ihr nur recht. Mehr als recht. Noch für einen Moment lang hält sie zur Adaption die Augen geschlossen, dann blickt sie nach oben, zu den Sternen, die sie so liebt. Direkt über sich erkennt sie die Leier, ihr Sternbild. Sie zählt die winzigen Lichtnadeln am nachtblauen Himmel durch, jede einzelne kennt sie mit Namen. Dann schickt sie ein sanftes Lächeln nach oben und murmelt: „Rys, du wolltest einmal Leben retten. Und, zum Frell, du hast mehr Leben gerettet, als du es dir hast träumen lassen. Auf dein Wohl!“ Mit diesen Worten erhebt sie ihren Hutta Libre, und mitten im Sternbild, zwischen dem Zeta und den Horizontalsternen, meint sie, das lächelnde Gesicht einer jungen Frau zu erkennen.







    Diese Geschichte widme ich Rheîa, Mithras und Tracker181, deren Unterstützung und Zuspruch mir viel bedeuten. Danke euch.


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