Kratzen im Hals




  • Frauenzeitschriften


    Alles begann mit einem Kratzen im Hals. Rafale Goeland war kaum aufgewacht, als ihr ein schneidender Schmerz beim Schlucken ankündigte, dass sie kränkelte. „Na, das wird ja ein toller Tag, zum Rodder!“, fluchte sie verdrossen in ihre Bettdecke und zog sich diese sogleich über den Kopf. Ja, es hatte sie erwischt. Irgendein blöder Infekt, der mal wieder umgeht wie der Klingelbeutel im Tempel. Damit das Halsweh sich nicht allzu einsam fühlte, gesellten sich die üblichen Verdächtigen dazu: Kopfweh, Gliederschmerzen, Bauchweh. Wie lästige Verwandtschaft hatten sich diese Plagegeister über Nacht bei Rafale eingenistet. Mochte der Morgen scheinheilig dämmern, soviel er wollte, sie würde heute kürzer treten, und die Decke über dem Kopf war der erste Schritt. Ihr eigener warmer Atem schlug ihr entgegen und besänftigte den Halsschmerz ein wenig. So sehr sie bedauerte, dass niemand zum Trösten bei ihr war, so beruhigt war sie dann doch darüber, dass sie so wenigstens niemanden anstecken konnte. Man weiß nie, wozu man eine kerngesunde Familie noch brauchen konnte, wenn man selber gerade sterbenskrank war und bemuttert werden musste A propos sterbenskrank: Hatte sie nicht neulich etwa seltsames, geradezu beunruhigendes gelesen? Irgendwo im Zeitschriftenstapel ihres Ionenfriseurs? Vielleicht stand es in der „Igitte“ oder in der „Drogue“, in die „Sith im Spiegel“ hatte sie auch reingeblättert. Natürlich hauptsächlich wegen der lustigen Holocomics darin. Jedenfalls ging es um eine grassierende gefährliche Krankheit, die zunächst ganz harmlos anfing, wie ein grippaler Infekt, wie.... wie... ja, genau so wie sie sich jetzt fühlte! „Ganz ruhig Raf, ganz ruhig! Du glaubst doch nicht an den verfrellten Mist, der in diesen Schundzeitschriften steht. Ganz sicher nicht!“ Oder vielleicht doch? Vielleicht war sie wirklich ernsthaft krank? Die Corellianerin räkelte sich widerwillig unter der Bettdecke, in ihren Körper lauschend. Doch außer dem üblichen Knacken des Kniegelenkes und eben den Grippesymptomen war nichts weiter zu spüren. Nichts weiter? Schlimm genug, dachte sie sich. Angestrengt presste sie ihrem hämmernd schmerzenden Kopf aus wie eine Taris-Limette. Was stand denn da noch genau? Es half nichts, vor ihrem Gedächtnis hing ein dickes fettes „Wegen Krankheit geschlossen“-Schild, sie musste es anders angehen. Schlangenhaft tastete sich ihr Arm unter der Decke hervor in die feindlich-helle Morgenwelt ihres Schlafzimmers. Schlangenhaft, wenn auch nicht ganz so anmutig und zielsicher fand er, was er suchte, nicht ohne vorher eine leere Clitch-Dose vom Nachttisch auf die Reise nach unten zu schicken, nicht ohne dem Radiowecker eine plärrende imperiale Marschmusik zu entlocken. Am Ziel der Suche angekommen, entrissen die Finger dem Haufen Unterwäsche von gestern ihr Comlink und zogen die Beute unter die Bettdecke. Buntig flackerte das Display auf und sandte sogleich schmerzende Impulse in ihr dröhnendes Hirn. Nachdem sie resignierend die letzten vier Online-Ausgaben von „Sith im Spiegel“ gekauft hatte, fand sie dann doch, was ihr Gedächtnis ihr verwehrte: Den gesuchten Artikel:


    „Rätselhafte Seuche auf Corellia: Bereits 12 Tote!“, stand da in wenig beruhigenden Flackerlettern. Hätte ihr Hals nicht so geschmerzt, so hätte sie jetzt beunruhigt geschluckt. Ungeduldig las sie weiter.


    „Coronet: Die Zeichen für eine neue grassierende Seuche verdichten sich: Nachdem in diesem Monat bereits über 100 Corellisi mit nicht behandelbaren Grippe-Symptomen in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten, sind jetzt die ersten Todesfälle bekannt geworden. Die betroffenen Patienten klagten über Hals- und Kopfschmerzen sowie Übelkeit und Gelenkschmerzen. Doch die scheinbar harmlose Grippe entwickelte sich zum ansteckenden Albtraum, der bereits seinen ersten Tribut forderte, und die Zeichen deuten auf eine rasche Ausbreitung dieser rätselhaften Krankheit hin. Dr. Dr. Tanya Antalus, führende Forscherin auf diesem Gebiet, gab der Krankheit ihren Namen: Endoplasmatische Reticulitis, oder Antalus-Syndrom, ein Begriff, der sicher noch für Schlagzeilen sorgen wird. Dr. Dr. Antalus widmet ihre gesamte Zeit der Erforschung und Therapie dieser tödlichen Bedrohung unseres Planeten. „Wir sind zwar erst am Anfang, aber mein neu entwickeltes Therapieverfahren zeigt schon stabilisierende Wirkung. So konnten wir die Lebenserwartung der infizierten Patienten drastisch erhöhen und wir erhoffen uns weitere Fortschritte“, so die Medizinerin. Alle bekannten Fälle wurden in einer Spezialkinik in Coronet zusammengeführt, um der führenden Epidemologin dieser Tage ihre segensreiche Forschung zu erleichtern und die Überlebenschancen der Patienten zu verbessern.“


    Mehr war der Zeitschrift nicht zu entnehmen, danach kamen schon das Horoskop und die „Dr. Winter“-Kolumne. Aber Rafale hatte ohnehin genug. So war das also, sie war tödlich erkrankt! Also war es wirklich ein Segen, dass niemand hier war, wer weiß, wie viele andere sie schon angesteckt hätte. Sie musste in diese Klinik und sich untersuchen lassen. Mit einem entnervten Stöhnen schob sie die Decke letztlich beiseite und setzte sich der quälend heiteren Morgensonne aus.






  • Patientenaufnahme


    Seit Rafale die kleine Klinik betreten hatte, kam sie aus dem Staunen nicht heraus. Mochte das Gebäude, in dem sie untergebracht war, etwas dürftig ausgesehen haben, so war es von Innen wie ausgewechselt: Modern, ansprechend designed, voll mit gut gekleideten Pflegern und geschäftigen Medi-Droiden, welche durch die Gänge huschten, ein weißes Rauschen inmitten des geschäftigen Alltags. Sie war beileibe nicht die einzige potentiell Erkrankte, im Gegenteil. Sie musste sich in einer kleinen Schlange, die sich vor dem Empfang windend aufbaute, hinten anstellen. Mit einem Plumpsen ließ sie ihre knautschige Reisetasche vor sich fallen. Erschrocken fuhr die Frau vor ihr herum, eine ältere Dame mit rötlichem, leicht ergrauendem Haar. „Huh, sie haben mich ganz schön erschreckt!“, japste sie heraus, dann fiel ihr Blick auf Rafales Tasche. „Was schleppen sie denn da eigentlich alles mit sich herum? Wollen sie denn auch zur Voruntersuchung wegen der Reticulitis?“ Verlegen sah Rafale zur Seite. Ja, warum schleppte sie eigentlich schon ihre Reisetasche mit Wechselwäsche an? War sie denn schon so hypochondrisch aufgelegt, dass sie fest damit rechnete, hier bleiben zu müssen? „Ehm... also, ich kam gerade vom Sport, wissen sie? Hab mich kränklich gefühlt.“ Zu einem verlegenen Räuspern fühlte sie sich nicht aufgelegt, der Hals schmerzte zu sehr. Die Frau vor ihr ließ ihr allerdings auch keine Gelegenheit, festzustellen, ob Rafales Verlegenheitslüge verfing oder nicht. Gerade in diesem Moment bewegte sich die Warteschlange einige quälend kleine Schritte weiter vorwärts, dem Schalter entgegen. Rafale schob halbwegs erleichtert und unauffällig ihre Tasche mit dem Fuß voran.


    Geraume Zeit und nicht wenige Fußtritte später stand sie endlich an dem fast schulterhohen Schalter der Anmeldung. Von der anderen Seite lächelte ihr ein junges Blondes Mädchengesicht entgegen. „Guten Tag, Miss, willkommen in der Antalus-Klinik. Was können wir für sie tun?“, plapperte sie ihren Begrüßungssatz herunter, sicher schon zum hundertsten Mal an diesem Tag. „Ehm.. Goeland, Rafale Goeland, hallo..ehm.. CIG-Krankenkasse GoldCard!“, stammelte sie vor sich hin, unsicher, was sie jetzt sagen sollte. In Krankenhäusern stellt man sich ja nicht alle Tage vor. „Angenehm, ich bin Schwester Rys. Sind sie hier, weil sie einen Verdacht auf endoplasmatische Reticulitis haben?“ Sie lächelte noch immer gewinnend. Hübsches Kind. „Eh..ja, genau! Also, ich bin da mit diesem Kratzen im Hals aufgewacht und dachte mir...“ „Oh, dann gehen sie doch bitte durch die Tür rechts von ihnen, dort ist der Untersuchungsraum.“, half sie der unsicher plappernden Patientin in spe aus.“ Rafale nickte nur langsam, erwiderte etwas verlegen das strahlende Lächeln und folgte der Wegweisung. Ihre Reisetasche trug sie so, dass Schwester Rys sie hinter ihrem Tresen nicht bemerken konnte.


    Der Raum für die Voruntersuchungen war nicht minder beeindruckend ausgestattet und gestaltet. In dieser Klinik steckte sichtlich eine Menge Geld. Und sicher warf sie auch eine entsprechende Menge ab. Ein namenloser Pfleger nahm ihr Blut- und Gewebeproben ab und ließ sie dann mit ihren Gedanken allein. Rafale nahm sich eine der diensteifrig ausliegenden Holozeitschriften, um die „Sith im Spiegel“ machte sie verständlicherweise einen Bogen. In der ACRC-Motorwelt waren einige interessante Artikel über die neuen Umweltzonen für Speederbikes und die übliche Werbung für Bauchweg-Gürtel, Haarersatz und Treppenhauslifte. In „Holo Spielfilm“ war ein Artikel über Anjolina Gelee und Brit Padd, sie mochte Filme mit den beiden, sehr zum Missfallen ihrer Freundin T´sani, die deren üblichen Anspruch auf Kultur darin vermisste. Rafale gefielen hingegen die Sexszenen und die Schießereien. Schließlich hatte sie vom Lesen genug. Sie betrachtete die vielen ebenso hübschen wie unbekannten Pflanzen im Wartezimmer, aber auch die Gesichter der mit ihr wartenden Patienten. Einige waren gleichgültig, andere drückten klar erkennbar tiefe Besorgnis aus. Die meisten von ihnen schnieften oder röchelten gedämpft. Ob das nicht gefährlich war, wenn man keine Infektion hatte und sich dann in ein solches Zimmer, vollgestopft mit Kranken setzte? Aber wahrscheinlich hatten sich genug Fachleute darüber Gedanken gemacht, sonst wäre das ja nicht so. Nur nicht überreagieren, Goeland. Einer nach dem anderen wurden die Wartenden von einem Pfleger angesprochen und murmelnd aufgefordert, ihm an einen, durch den gedämpften Tonfall, nicht bekannten Ort zu folgen. Schließlich kam der Pfleger auch auf Rafale zu. Jetzt musste sie doch schlucken, zu sehr fühlte sie sich wie eine Delinquentin. Ihre Füße klemmten Halt suchend die Reisetasche ein. „Miss Goeland?“, eröffnete er das Gespräch. Gleich würde er murmeln, sie solle ihm doch bitte folgen. Erfolglos bemühte sie sich, aus seiner Mimik oder dem Tonfall etwas herauszufinden. „J-ja? Das bin ich! Was ist heraus.. gekommen?“ „Miss, würden sie mir bitte folgen? Dr. Dr. Antalus würde sie gerne sprechen.“







  • Antalus


    Für einen Moment vergaß Rafale die bange Frage, was nun aus ihr werden solle. Das Büro von Dr. Dr. Tanya Antalus war nach dem selben atemberaubend geschmackvollen Ambiente eingerichtet wie der Rest der Klinik. Oder war es die Klinik, die nach dem Muster dieses Büros eingerichtet war? Wenn das der Fall war, dann hatte man sich im allgemeinen Bereich wenigstens die Ansammlung von -vermutlich- kostbaren Bildern an den Wänden gespart, ebenso die vielen kleinen Kunstwerke, die in Regalen, auf Tischplatten oder auch dem Fußboden selber einen kostspieligen Verdrängungskrieg führten. Rafale verstand nichts von Kunst, aber sie hatte ein sicheres corellianisches Bauchgefühl für den Wert von Gegenständen, und dieses Bauchgefühl klingelte gerade mächtig. T´sani hätte ihre wahre Freude mit dieser Einrichtung gehabt. Rafale vermisste dagegen den Kühlschrank für das Bier. „Miss Goeland, so setzen sie sich doch bitte!“, drang eine angenehme weibliche Stimme durch das Kunstdickicht zu ihr. Sie gehörte Antalus, einer ansehnlichen Mittvierzigerin, die hinter ihrem massiv hölzernen Schreibtisch aufgestanden war und den Einweiser für eine Parkposition auf einem Patientenstuhl, dem Tisch gegenüber, spielte.


    Sie sah auf den ersten Blick gebildet und seriös aus, fand Rafale. Eine leichte randlose Brille, ordentlich frisiertes graublondes Haar, eine hochgewachsene schlanke Gestalt mit zarten Händen. Schwiegermutters Traum, dachte sich Rafale, etwas eingeschüchtert in ihrem sportlichen Dress mit Lederjacke und Swoopstiefeln, die Reisetasche in der Linken. „ich fürchte, ich habe eine schlechte Nachricht für sie, Miss Goeland!“, fügte Antalus mit ins Mitleidige umschwenkender Miene hinzu. Rafale sank auf dem gerade erst eingenommenen Stuhl sogleich noch etwas weiter zusammen. Also doch! Die Reticudingsda! „Die Labortests ergaben, dass sie tatsächlich an endoplasmatischer Reticulitis erkrankt sind, Miss. Ich werde ihnen also ein Zimmer in meiner Klinik zuweisen müssen und sie zur Behandlung hier behalten. Wie ich sehe...“, sie blickte mit nachdenklicher Miene auf Rafales Reisetasche, „...sind sie bereits gerüstet für den nächsten Schritt.“ „Frau Doktor... wie gefährlich ist denn die Lage? Ich hab ne Menge Schlimmes über die Reticusidis gelesen.“ „Reticulitis, übrigens ist geplant, ihr den Trivialnamen „Antalus-Syndrom“ zu geben.“ Dr. Dr. Antalus lächelte sowohl freundlich als auch ein wenig stolz. Rafale gönnte es ihr gerne, wenn sie nur mit heiler Haut davonkäme.


    „Miss Goeland, ich will ihnen nichts verheimlichen: Die Sterberate ist für eine zivilisierte Welt wie Corellia ungewöhnlich hoch, aber dennoch mit 10-20% noch überschaubar. Ich und mein Ärzteteam arbeiten fieberhaft an der Therapie, der einzig bekannten erfolgreichen des ganzen Planeten, um diese Zahl weiter zu senken. Für sie persönlich...“, Antalus musterte Rafale so gut es aus ihrem Blickwinkel ging, „...sehe ich die Gefahr nicht allzu groß, sie sind recht jung, soweit ich es beurteilen kann, anderweitig gesund. Und außerdem... sie sind doch sportlich, nicht wahr?“ Rafale nahm sich augenblicklich vor, nie mehr auch nur einen einzigen Fronik zu essen, keine Dose Clitch auch nur anzusehen und ab sofort mit T´sani zusammen joggen zu gehen. „Ehm...es geht so einigermaßen, man tut, was man kann, Frau Doktor.“ „Meine Therapie ist -noch- keine eigentliche Heilung, aber sie vermag, die Patienten solange zu stabilisieren, bis die kritische Phase der Krankheit vorüber ist. Noch einige Monate, und unsere Sterblichkeit geht gegen Null und wir haben sogar einen Impfstoff zum Wohle Corellias!“ Bei diesen Worten meinte Rafale beinahe, einen goldenen Sternschnuppenregen auf den Schultern von Dr. Dr. Antalus niedergehen zu sehen, einem Engel der Heilung gleich schimmerte es um die Medizinerin. „Haben sie denn keine Angst, sich damit anzustecken, Frau Doktor?“ „Nein, Miss Goeland, und das hat seinen Grund: Aus noch unbekannten genotypischen Gründen befällt der Erreger der Reticulitis nur weibliche Homo Corellisi mit von Geburt an roten oder rotbraunen Haaren. Bei allen anderen bleibt er rezessiv.“ Rafale war sich nicht sicher, was rezessiv bedeutete, aber sie wollte nicht ihrer ersten Eingebung glauben, dass es etwas schweinisches war.


    „Aber... in der Warteschlange standen alle möglichen Leute, warum schicken sie die nicht gleich wieder weg?“, wollte Rafale wissen. „Miss Goeland, wenn wir das täten, würde sich diese Information schnell verbreiten und jedermann wäre komplett sorglos. Dadurch würde das Risiko, dass der Erreger die Typgrenze überspringt, ins Unermessliche steigen, das können wir momentan nicht riskieren. Ich.. rechne da mit ihrer Verschwiegenheit, ja?“ Rafale schluckte mühsam, dann nickte sie. Ihr leuchtete das ein. „Ich würde ebenfalls darum bitten, von Verwandtenbesuchen für die erste heiße Phase der Infektion abzusehen, wir wissen noch zu wenig über den Erreger. Selbstverständlich können sie Hologespräche führen. Gibt es noch etwas wichtiges vorab zu klären, Miss Goeland?“ Dr. Dr. Antalus lächelt wirklich so, als müsste man sich kaum noch Sorgen machen, sie wirkte sehr sympathisch auf Rafale. „Mh... gibt es in der Kantine zufällig Clitch-Bier?“




  • Krankenzimmer


    Verglichen mit Dr. Dr. Antalus´ Büro wirkte Krankenzimmer Nr. 38 karg. Verglichen mit Rafales Kajüte auf ihrem Schiff, der „Gambier Bay“, wirkte es jedoch wie ein gehobenes Mittelklasse-Hotel. Und wahrscheinlich kam es ihr nur deswegen karg vor, weil sie noch immer an der persönlichen Beleidigung, dass es offenbar in der ganzen Klinik kein Bier geben würde, zu knabbern hatte. Missmutig zog Rafale eine Schnute. Wenn sie die Infektion überlebte, würde sie sicherlich an Biermangel elendig verrecken. Sie beschloss, die Klinik aus ihrem imaginären Testament zu streichen und warf die Tasche mit Schwung auf das Bett und...... HALT! Gerade noch realisierte sie, dass das Bett belegt war, ihre Linke hielt die Taschengriffe fest, was in einer ungeschickten Pirouette endete, bei der sie sich fast lang gelegt hätte. Ein Zweibett-Zimmer! Eines mit belegtem zweiten Bett! Rafale kam sich blöd vor, natürlich war die CIG-Mitgliedschaft „Gold“ nur das unterste medizinische Versorgungsniveau, Einzelzimmer und anderen Luxus konnte man frühestens mit Platin-Niveau erwarten. „Verfrellte Werbesprache, der Rodder soll dich holen!“, fluchte sie unterdrückt vor sich hin. Der Inhalt des belegten Bettes entpuppte sich als eine alte Bekannte. „Oh....die junge Dame mit der Reisetasche.!“, entgegnete der Lebendinhalt, den Rafale sogleich wieder erkannte. Es war die Dame aus der Warteschlange. Sie lag noch in Straßenkleidung auf dem Bett und musste wohl erst ihren kleinen Hausstand organisieren. Das überlegene Lächeln erfolgreicher weiblicher Intuition zog auf Rafales Lippen und nistete sich dort ein. „Ja, wie es aussieht, haben wir beide Vollpension gebucht, eh?“ Ein Lächeln zog über das Gesicht der Anderen. „Ja, ich könnte wohl darauf verzichten, aber.. öch!“, ein heiseres Husten unterbrach sie, „... aber wir wurden da wohl nicht gefragt.“ „Sieht so aus.“ Mit diesen Worten warf Rafale ihre Tasche auf das Bett am Fenster, das erfreulicherweise nicht auch noch belegt war. Sie hatte sich bereits fest vorgenommen, ihre GoldCard zurückzugeben, wenn dies der Fall gewesen wäre. „Geda Greson ist mein Name, ich bin aus Coronet.“, lächelte die Frau sie an. Rafale hegte gleich eine gewisse Sympathie für ihre Zimmergenossin, warum auch immer. Ob sie Bier mochte?


    Wer dem Krankenhauskoller bestmöglich vorbeugen will, der tut gut daran, den Übergang vom „Leben draußen“ in das „Leben drinnen“ harmonisch zu gestalten, ganz so, als bezöge man ein Urlaubsquartier. Rafale gelang dies wider Erwarten. Geda Greson trug das ihre dazu bei, man unterhielt sich über den Rodder und die Welt, half sich beim Einrichten im Zimmer, sprach über Schlafgewohnheiten ( Daß Rafale schnarchte, verschwieg sie geflissentlich, darauf hoffend, daß Greson schwerhörig war ). Man tauschte Mutmaßungen über den Klinikalltag und die Kompetenz der Ärzte aus ( Nicht, dass irgend jemand Zweifel an Dr. Dr. Antalus gehabt hätte ). Es stellte sich heraus, dass die sympathische Dame mit dem leicht ergrauenden roten Haar umgänglich, freundlich und aufgeweckt war, wenn auch vom Schicksal nicht gerade mit einer derart robusten Gesundheit gesegnet war wie Rafale Goeland. Sie litt an Herzproblemen, Rafale hatte den wissenschaftlichen Namen auch nach dem dritten Versuch nicht verstanden und nahm sich vor, bis auf weiteres von „deinem Herzkram“ zu sprechen. Rafale hatte schon beinahe vergessen, wo sie sich befand, als mitten in die Unterhaltung Schwester Rys hineinplatzte. Die junge blonde Frau strahlte mit dem Sonnenschein und den hellgelb gestrichenen Wänden um die Wette und begrüßte beide herzlich. Man war geneigt, bei ihr ein Getränk zu bestellen und sie mit einem Trinkgeld zu bedenken. Sie erklärte den beiden in freundlichstem Plauderton die wichtigsten Details der nächsten Zeit: Die Essenszeiten, Nachtruhe, die Einrichtungen, Visitenzeiten und die Therapie. Erstaunlicherweise bestand die Therapie lediglich daraus, dass man täglich Blutbilder und Gewebeproben entnahm und einmal nachmittags per Injektor eine Dosis „Antalusan“ bekam. Dies war unüberhörbar das Wundermedikament, das Dr. Dr. Antalus entwickelt hatte, um die Krankheit in Schach zu halten, bis der Körper damit allein fertig werden konnte. Offenbar war es in ihrem Stadium lebensnotwendig, die tägliche Dosis keinesfalls zu verpassen. Alles durfte vernachlässigt werden, auch die Mahlzeiten, die tägliche Injektion jedoch war ein Muß. Gerade letzteres wollte Rafale nicht recht einleuchten, aber sie entschied sich für schweigende Kooperation. Vielleicht gab es ja doch Bier.


    Schwester Rys erklärte dies alles mit einer bedeutungsvollen und ernsten Stimme, ohne jedoch das Lächeln dafür anzulegen. Zwar hatte Rafale selten Probleme damit, Leute spontan zu mögen, aber Rys machte es ihr ebenso leicht wie ihre Zimmergenossin. Vom Biermangel und der Krankheit selber abgesehen, war dieser Aufenthalt hier im Begriff, eine angenehme Zeit für Rafale zu werden.




  • Rys


    Keine Rose ohne Dornen. Neben dem lästigen Kratzen im Hals und der Clitch-Losigkeit hatte Rafale schnell einen weiteren Mangel der Klinik festgestellt: Das interne Musikprogramm war zum Sterben langweilig. Mit ihrem leicht brummigen Kopf fiel es ihr schwer, sich zu erinnern, wie oft heute schon „We don´t heed another Nero“ von Tuna Burner lief, aber es war entschieden zu oft. Billiger Mainstream, murrte sie in sich hinein, irgend jemand hatte da einen miesen Geschmack, wenn nicht gar keinen. „Shunlight Meadows“ von Oak Mightfield, „Beverage in a bottle“ von The Pilots, sie konnte es nicht mehr hören. In diesem Moment medialer Erkenntnis fühlte sie sich zum dritten Mal isoliert: Kein Besuch, kein Bier, keine Musik. Wollte man ihr das Sterben leicht machen, indem man das Leben zur Ödnis gestaltete? Dr. Dr. Antalus war wohl auch eine begabte Psychologin. Rafale lächelte grimmig. In Ermangelung ihrer MP11-Sammlung lag sie mit geschlossenen Augen auf ihrem Krankenbett und summte aus Trotz einige Songs der Hauling Thrones. Für Außenstehende mochte es klanglich so schief sein wie ihr Finanzbudget, sie behauptete jedoch immer, es wäre die zweite Stimme. Kluge Leute pflichteten ihr bei, in der steten Furcht, sie könnte vom Modus „Mitsummen“ auf „Vorsingen“ wechseln.


    Jetzt gerade war sowieso niemand da, ihre Zimmergenossin war wieder einmal wegen ihrer Herzgeschichten zu einer Sondertherapie unterwegs. Kein Wunder, dass Geda es mit dem Herzen hat, wenn man die ständig von Nuntius zu Vibratus durch die Gegend scheucht, dachte Rafale sich, sie würde diese Einschätzung aber wie üblich für sich behalten. Etwas berührte ihre Schulter, sie zuckte zusammen, öffnete voller Erwartung die Augen. Es war nicht der Leadsinger der Thrones, Dick Bagger, aber immerhin Schwester Rys. Wunder waren eben rar in diesen Zeiten und wenn, dann nur für die PlatinCard-Besitzer reserviert. „Ich habe da ein seltsames Quieken gehört, da dachte ich mir, ich schaue einmal rein. Geht es ihnen gut, Miss Goeland?“ Rafale brachte eine spontane Errötung der mittleren Alarmstufe hervor. „Ehm.... ja, ist alles in Ordnung... ich..ehm... hab dieses komische Geräusch auch gehört. Aber von mir ( sie hoffte, es war ein überzeugendes „mir“ ) kam das nicht.“ „Achso, dann ist ja gut.“ In Rys´ Lächeln schien der funkelnde Stern der Fürsorge. „Erzählen sie doch mal was von sich, Schwester, die Krankengeschichten der anderen kenn ich schon auswendig!“, versuchte Rafale ein Gespräch anzuknüpfen, überzeugt, extrem subtil vorzugehen. Fast entgegen ihrer Erwartung blickte Rys kurz auf ihren Kommunikator, nickte sich selbst bestätigend zu und setzte sich dann ganz unkompliziert auf den Rand des Bettes. Rafale wurde spontan klar, dass die junge Frau nicht nur freundlich und unkompliziert war, sondern auch verdammt hübsch. Ihre üblichen Gesprächsthemen Bier, Fastfood, Musik und Sex sollte sie um wenigstens einen Punkt kürzen, sonst würde sie unruhig schlafen.


    „Hm, was soll ich denn erzählen? Es würde sie sicher langweilen.“ „Oh, erstmal hab ich eine frellig tolle Idee! Sag einfach du zu mir, eh? Ich bin Raf. Oder Krücke, wie du magst.“ Dabei deutete sie wie üblich zur Erklärung auf die pneumatischen Streben an ihrem rechten Knie. „Ich ziehe dann Raf vor, wir haben hier schon genug Krücken!“, lachte sie heiter durch das blonde Haar in ihrem Gesicht. „Also...Raf... ( es tat ihr gut, vermittelte es doch einen Hauch Normalität ) ich kann erzählen, wie ich hierher kam.“ „Gute Idee, endlich mal einer, den nicht das Kratzen im Hals hierher beordert hat!“ Rafale schmunzelte, für einen weiteren Moment schien die Krankheit vollständig vergessen. „Ich studiere Molekularmedizin in Coronet. Gerade stand die Frage im Raum, wo ich mein erstes Praxissemester verbringen könnte, da brach diese Reticulitis aus. Der Name von Dr. Dr. Antalus und ihrer Klinik war plötzlich in aller Munde und da dachte ich mir: Bewirb dich doch mal hier, die brauchen bestimmt jede Menge Leute! Und...„ ,sie kicherte herrlich unbeschwert, „..wer will denn nicht mal Leben retten, so wie in den kitschigen Holoserien? Naja, und jetzt bin ich hier. Die Doktorin ist eine tolle Frau, modern und engagiert. Eine Schande, dass sie erst mit dieser Krankheit so richtig bekannt geworden ist, die hätte schon viel früher eine Karriere verdient.“ „Naja, spätestens jetzt hat sie ja Gelegenheit, bekannt zu werden. Nur um die Bierversorgung muss sie sich mal Gedanken machen!“, lachte Rafale heraus, was sofort einen Hustenanfall provozierte. „Oh je, man sollte dir Witzverbot verordnen, Raf!“, lachte Rys mit ihr, legte ihr dabei die Hand beruhigend auf den Brustkorb. Rafale überlegte, wie lange sie weiter husten könnte, ohne aufzufallen. Das Leben bestand eben doch nicht nur aus Bier, Fastfood und Musik.




  • Leichentücher


    Die raue Wirklichkeit holte Rafale Goeland ein wie ein Blasterschuß. Gerade wollte sie sich auf die Suche nach dem nächsten Getränkedroiden machen ( wenn sie nur genug trank, fiel die Illusion, es handele sich um Bier, deutlich leichter ), aber sie kam nur bis zur Schwelle ihrer Zimmertür. Auf dem Gang schob ein Pfleger, ein massiver Zabrak, ein Grav-Krankenbett mit einem abgedeckten Körper vor sich her. Zum Rodder! Rafale hielt, ohne es zu registrieren, erschrocken eine Hand an ihren Mund, die Konfrontation mit dem Tod nahm ihr alle Gelüste auf Bier, Wasser, Musik und sogar Sex. Gebannt lag ihr Blick auf dem Tuch, glitt über die darunter verborgene Topografie eines Gesichtes. Dann wanderte das Bett weiter voran auf dem Korridor und ihr Blick kreuzte den Zabrak-Blick. Der Pfleger guckte nicht sonderlich betroffen, mehr mürrisch oder gar genervt. Sie war sich nicht sicher, wie groß das Gefühlsspektrum von Zabrak war, sie verwechselte da immer einiges mit Rattataki, und so blickte sie ihm eher hilflos entgegen. Er schenkte ihr dafür einen „Sag nichts dummes, denk nichts dummes, geh weg!“-Blick der Stufe 3, welcher die gewünschte Wirkung hatte. So war das also, dachte sie sich, als sie die Tür wieder zwischen sich und dem Korridor schloss. Die Einschläge kamen näher.


    Blitzartig dachte sie an Geda Greson. Auch die sah nicht allzu gut aus, sicher machten ihr die Komplikationen wegen ihrer Herzerkrankung mehr zu schaffen als anderen Patientinnen auf der Station. Ob sie auch eines Tages so unter einem Laken...? Rafale zwang sich mit einem energischen Kopfschütteln ( welches sie sogleich bereute ) zum Abbruch dieses Gedankenganges. Nein! Nicht verrückt machen lassen, Goeland! Das hier geht gut aus! Für dich und für die anderen, du musst nur dran glauben! Langsam sank sie an der Wand zu Boden, sich die Haare zerwühlend, erstmals von der Verzweiflung überrannt. Wie ein losgelassenes Grav-Surfboard trieben die Gedanken durch die verdüsterten Winkel ihres aufgewühlten Geistes, verloren sich, verknäuelten sich, nur um ihre Regatta wieder von vorne zu beginnen. Erst ein wiederholtes Stupsen eines Fingers an ihre Schulter riss Rafale von ihrer mentalen Zuschauertribüne. Verwirrt sah sie in das Gesicht eines Pflegers, der ihren Ausdruck nicht ungeschickt spiegelte, während er neben ihr in die Hocke gegangen war. „Miss Goeland, ist alles in Ordnung mit ihnen?“


    „J-ja... denke schon. Hatte nur eben ( war das wirklich „eben“? Wie lange hatte sie hier gesessen? Einziges Indiz war ihr schmerzender Hintern, und der schwieg beleidigt ) das Bett mit einem Toten gesehen, das war nicht gut für die Nerven eh?“ „Ja, das verstehe ich. Versuchen sie, es zu vergessen, wenn möglich. Das ist eben in einer Klinik so, hier sterben Leute, so sehr wir uns auch bemühen.“ So ein Droyk, dachte sie! Hielt der Kerl sie denn für dämlich? Dann zögerte sie. Ja, sie war dämlich. Dämlich, weil sie genau das verdrängt hatte. Beinahe bekam sie ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Rafale-Goeland-ist-sorglos-Mentalität. Nicht alle kamen hierher, um die Hauling Thrones zu hören und zu schwatzen. Manche kamen, um zu sterben, ob sie es wollten oder nicht. „Wer war es denn?“ „Miss Brann, von Zimmer 45.“ „Kenn ich nicht.“ „Ältere Dame, alleinstehend und schon ein wenig schwach auf der Brust. Die trifft es am härtesten, leider.“ Rafale nickte nur. Gleich morgen würde sie sie sich in einem Fitness-Studio einschreiben.


    Der Pfleger half ihr schließlich auf und gab ihr mit dem Injektor die fällige Injektion von Antalusan und ein herbeigerufener Medizinaldroide entnahm die Gewebeproben. Wenn sie noch länger hier wäre, würde von ihr nichts übrig bleiben, bei der ständigen Gewebeentnahme, dachte sie sich. Zu ihrer großen Erleichterung kam danach wenigstens Geda Greson wieder zurück. Mit müder Geste legte sie eine klappernde Handvoll frisch verordneter Injektor-Kartuschen in die Schublade ihres Nachtschränkchens. Herzkram. Sie sah zwar erschöpft aus und hatte leichte Ränder unter den Augen, aber jeder Anblick außerhalb eines Leichentuches war Rafale jetzt so willkommen wie Corellias Sommersonne.






  • Bierdämmerung


    Fordernd fingerte das Erwachen nach Rafale „Krücke“ Goeland. Doch wenn jene eines zur Perfektion entwickelt hatte, dann war es das Hakenschlagen auf der Flucht vor unangenehmen Dingen. Wie zum Beispiel dem Aufwachen. Seit man am vorigen Abend ihre Bettnachbarin ihres angeschlagenen Zustandes wegen auf die Intensivstation verlegt hatte, sank Rafales Laune schneller als ein leck geschlagenes Schiff. Geda tat ihr leid, sie war nun wirklich mit ihrem Herzkram schon genug gestraft. Aber es machte sich auch eine gewisse ichbezogene Unruhe in ihr breit wie ein Hautausschlag: Wer würde die nächste sein? Geda? Oder würde auch sie, Rafale, demnächst unter einem weißen Tuch spazieren fahren? Geschoben von einem fies drein blickenden Zabrak? Da war es ihr bedeutend lieber, zu schlafen. Den Schlaf hatte sie noch im Griff. Oder hatte er sie im Griff? Sobald sie zu erwachen drohte ( und schließlich war sie mehr als ausgeruht hier ), warf sie sich ihm immer wieder neu entgegen, wie einem Prominenten aus einer Holo-Castingshow. An langweilige Reden an der Uni denken. Grav-Eiskunstlaufen. Die lokalen Süßkartoffelpreise. Horranth-Zählen. Alles, was half, einzuschlafen, war ihr recht und willkommen.


    Gerade beschäftigte sie sich mit der Frage, wie sicher eine Rettungskapsel war. Konnte sie ebenfalls havarieren, wie das Raumschiff, dem sie entsprang? Und bräuchte man dann nicht Rettungskapselrettungskapseln? Und Rettungskapselrettungskapselrettungskapseln? Ihr Verstand tat in dieser unauflösbaren Lage das einzig sinnvolle: Er schlief ein. Um Rafale herum drehte sich alles, die Grenze zwischen Realität und Traum verschwamm wieder. Wie ein Mäander wickelte sich die Warteschlange an der Rezeption um ihre Sporttasche. Alle tuschelten irgendwas zum Thema, aber sie verstand nicht, was. Der Zabrak schob sich durch das Bild, erblickte sie und krümmte finster grinsend einen lockenden Finger, deutete mit der anderen Hand auf ein unbesetztes Leichentuch. Sie wollte schreien, Angst stieg in ihr auf, doch das Kratzen im Hals hinderte sie daran. Verzweifelt streckte sie eine Hand aus, suchte einen festen Halt, während der Pfleger an ihrem Fuß zerrte, um sie zu holen. Nicht weit von ihr entfernt stand Dr. Dr. Antalus, doch sie reagierte nicht auf Rafales ausgestreckte Traumhand, sie lächelte nur. Rafale streckte ihren Arm weiter aus, wie die Teleskopgreifer eines Werkstattdroiden, auf der Suche nach dem 13er Schlüssel. Eine Rettungskapsel. Nein, kleiner! Ein Behälter! Egal was, es war die Rettung vor dem Griff des Zabrak, der sie unter das Tuch zerren wollte! Sie packte zu. Kalt, metallisch und seltsam vertraut war das Gefühl in ihren Fingern.


    Als Rafale verschwitzt und keuchend aufwachte, schien ihr die rötliche Abendsonne grüßend ins Gesicht. Ihr Arm war noch immer ausgestreckt, die Hand auf dem Regalboden des Nachtschränkchens ruhend und etwas umklammernd. Wenn Rafale Goeland auch nicht machtsensitiv war, so übertraf ein ganz besonderer Spürsinn jeden Jedi um Lichtjahre: Ihre Hand ruhte auf einem Sixpack Clitch-Dosen! Mit großen Augen starrte sie das kostbare Zeugnis corellianischer Braukunst an. Kaum wagte sie zu atmen, aus Angst, den Zauber doch noch zu brechen. „Tausend stinkende Banthas, mit diesem Machttrick mache ich mich selbständig!“


    Nachdem sich der zweite Halbliter des köstlich prickelnden Bieres in ihre Kehle gestürzt hatte, fiel Rafale der kleine Host It-Zettel an der Packung auf. Hastig nahm sie ihn ab und las die handgeschriebene Notiz: „Ich dachte mir, dieses kleine Geschenk könnte dich ein wenig aufmuntern. Bitte verstecke es gut und: Ich weiß von nichts! - Rys“ Rys, dieses Goldstück! Wenn überhaupt jemand sie verstand, dann war es dieser blonde Bierengel! Rafale hielt den Atem an. Verstecken.... verstecken... ja, sicher, das wäre das Beste! Und wo? Sie nickte ihrem Bauch zu. „Mh, ich hab da ne verfrellt gute Idee, wo ich das Zeug verstecken kann, da wird es garantiert nicht auffallen, höhö!“, murmelte sie hoch zufrieden und äquatorial breit grinsend. „Auf uns beide, Blondie!“ Mit diesen Worten griff sie nach der nächsten Clitch-Dose.




  • Einfallsreichtum


    Es klopfte. Gerade gab sich Rafale noch der -medizinisch sicher bestens begründbaren- Kühlung ihres kratzenden Halses mittels illegalem Bierkonsum hin, da fuhr sie jäh hoch. Es klopfte abermals. Ertappt, sie fühlte sich ertappt. Das traumatische Erlebnis, damals, als ihr Abschreiben in der Ultraphysik-Klausur aufflog, holte sie wieder ein. Verzweifelt versuchte Rafales alkoholisierter Verstand, eine Notfallreaktion zu planen. Was tun? Die sechste und letzte Dose des wundervollen, lebensrettenden Bieres ruhte noch in ihrer Hand wie ein lästiges Beweisstück. Und das da draußen war bestimmt nicht Rys, die hätte nicht so kräftig geklopft. Fieberhaft sah sie sich um. Wohin mit dem lästigen Beweis? Es war noch zu viel in der Dose, als dass man es hätte herunterstürzen können. Nicht einmal sie hätte das gepackt, ohne gleich danach wie eine gurgelnde Brunnenfigur Fontänen von sich zu geben. Niemals, nicht einmal in ihren wildesten Träumen hätte sie sich vorstellen können, dass ihr eine Dose Bier mal dermaßen ungelegen kommen könnte. Hastig einer Eingebung folgend ( poetischere Naturen als Rafale Goeland hätten es „weibliche Intuition“ genannt ), zog sie die Schublade ihres Nachtschränkchens auf und stellte die Dose hinein. Als sie die Schublade schloss, öffnete sich bereits die Tür von Zimmer 38 und ein Pfleger trat ein. Sie unterdrückte einen derben corellianischen Fluch, als sie bemerkte, dass die stehende Dose nicht in die Schublade hinein passte! Mit Gewalt geht alles besser, Goeland! Und mit diesen Gedanken gab sie der Notlösung ebenso wie der Schublade einen kräftigen Schwung und schloss diese.


    Es mochte die Dose darin zum Kippen gebracht haben, aber egal. Die Lösung dieses Problems sollte gefälligst warten. Der Pfleger, der sie neulich vom Boden aufgelesen hatte trat ein, sah erwartungsvoll in ihre Richtung, wohl hoffend, dass die Patientin nicht schon wieder Unfug angestellt hatte. Um ihn zu belohnen, strahlte diese ihn mit ihrem Rafale-Goeland-ist-die-unschuldigste-Person-der-Galaxis-Lächeln Nr. 17 an. Dieses Lächeln ist nur Notsituationen vorbehalten, und wenn Rafale sich recht erinnerte, wurde es das letzte Mal benutzt, als sie dabei erwischt wurde, wie sie mit dem Freund ihrer besten Freundin schlief. Zugegeben, damals hatte ihr die Verwendung ihres Premium-Lächelns nichts genützt, aber da hatte er ja auch noch auf ihr gelegen. Heute waren die Umstände weit günstiger. Hatten sie Rafale seinerzeit noch eine Ohrfeige eingebracht, deren knallrote Wange ihr als Folge länger erhalten blieb als die beste Freundin, konnte sie heute breit lächelnd auf Gewinn spielen. In der Tat, der Pfleger war sichtlich angenehm überrascht über das zahnige Unschuldslächeln eines neugeborenen Manka-Kätzchens. „Miss Goeland, ich wollte ihnen nur Bescheid sagen, dass ihre Injektion heute etwas später kommt, wir hatten heute eine Schulungsmaßnahme in der Abteilung.“ „Oh, kein Problem, mein Bester, Hauptsache, ich bekomme sie überhaupt, damit ich meinen Pegel halten kann, eh?“ Ihr hämisches Grinsen, diesmal ungekünstelt, entlockte dem Pfleger einen misstrauischen Blick.


    „Alles in Ordnung, Miss Goeland? Soll ich ihnen einen Stim für die Nacht geben?“ Mit diesen Worten griff er an die Schublade von Rafales Nachtschränkchen. „NEIN! ICH...“ Weiter kam sie nicht, denn die Hand, mit der sie dem Pfleger in die Parade fahren wollte, streifte die Bedienkonsole ihres Bettes und löste gleichzeitiges Zusammenklappen von Ober- und Unterteil, die Musikanlage ( wieder Tuna Burner, diesmal „Mythical Tale“ ), das aufblasbare Nackenhörnchen sowie den Duftspender und den Nachtdroiden-Notruf aus. Eine ganze Weile später, nachdem der Pfleger die Patientin aus der zusammengefalteten Matratze befreit hatte und die zahlreichen plärrenden Droiden zur Tür hinausgeschoben waren, schien die Frage nach dem Stim vergessen. Oder er wollte einfach nur noch aus dem Zimmer dieser chaotischen Patientin entkommen. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, sprang Rafale auf, ihre Knie ebenso alkoholisiert wie der Rest ihres Körpers. Sie zog die Schublade auf und sah sich die Bescherung an: Die Dose war tatsächlich ausgelaufen und hatte alle drei Fächer der Einlage mit Bier überschwemmt. Die Injektorkartuschen trieben darin wie Schiffbrüchige auf See, Serviettenmatsch, Notizzettel, das Programm des Stationsradios ( um das es ihr nun wirklich nicht leid tat ) waren vom Bier durchweicht. Was tun? Da 95% des Sixpacks in ihrem Kopf rotierten und nur 5% ausgelaufen waren, entschied sich die Besitzerin des Kopfes für das Naheliegende.


    Sie zog die Schublade heraus, legte sie provisorisch in die Duschzelle und betrachtete das gähnende Loch in ihrem Schränkchen. „Zum Rodder, das sieht blöd aus!“, murrte sie dem Loch entgegen. Dann strahlte sie auf, in der sicheren Erkenntnis, gerade eine unheimlich schlaue Idee zu haben. Sie wackelte zu Geda Gresons Schränkchen und zog dort kurzentschlossen deren Schublade samt Inhalt heraus, um sie in ihr eigenes Schränkchen einzusetzen. Glücklich und zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Transplantation ( Hey, wozu war das hier eine Klinik? ) schob sie sich in ihr Bett und warf sich dem warmen Clitch-Rausch entgegen.




  • Erwachen


    Rafale fuhr hoch wie ein Vibrator unter Starkstrom. „Zum Rodder, Goeland! Die Injektion! Du hast gestern Abend die Injektion verpasst!“ Hektisch atmend sah sie sich um. Sie war so gut wie tot. Heftig hämmerte ihr Herz von innen an die Rippen, als wäre ihm die bisherige Behausung urplötzlich zu eng geworden. Einige Wimpernschläge lang schien die Welt still zu stehen. Sie war so gut wie tot. Keine Injektion. Diese Reticudingens da würde ausbrechen und ihr den Garaus machen! Schwester Rys hatte sie gewarnt. Mit aller Kraft musste sie das aufkommende Jammern unterdrücken. „Ganz ruhig, Raf, ganz ruhig. Das ist unmöglich. Selbst wenn du im Bierrausch nichts mitbekommen hast, muss jemand da gewesen sein!“ Das interne Überzeugungsduell hing unentschieden in der Luft. Rafale brachte es nicht fertig, ihrer eigenen Vernunft zu trauen. Panik war destruktiv, hatte aber durchaus etwas heimelig-vertrautes. Skeptisch betrachtete sie ihre rechte Armbeuge. Dann die linke. War da nicht der Rest eines frischen Einstichs? Oder war da nur eine Mücke scharf auf die Reticu...Recutu..Recu.... Erkrankung gewesen?


    Behutsam, als sei sie aus Glas und könnte zerbrechen, beugte sie sich über das Kopfende, angelte aus der dort eingehängten Patientenmappe das Injektionsbuch. Wenn ihr jemand gestern in ihrem Suff eine Injektion gegeben hatte, dann musste dort der Aufkleber der Kartusche eingeklebt sein. Sie hatte das schon oft genug so beobachtet. Und wirklich. Beim gestrigen Tag war ein Aufkleber in dem Büchlein. Erleichtert nickte Rafale. Alles in Ordnung. Solange, bis sie die Beschriftung des Aufklebers sah. Ihr bis eben noch nickender Kopf blieb ruckartig hängen, als sei er ( in einer zugegeben sehr bescheuert aussehenden Position ) eingerastet. Das war kein Antalusan! „Aber..warum? Wieso?“, stammelte sie ratlos vor sich hin. Das leere Bett von Geda gab ihr keine Antwort. Sie sah zum Fenster, auf die Spitzen der Bürotürme, die sich gerade im Licht der grellen Sonne ertränken wollten. Dann zurück, geblendet von dieser unbefangen anwidernden Heiterkeit. Auf Gedas Nachtschränkchen. Da dämmerte es ihr. „FUCK! Die Schublade! Ich blöde Nuss hab doch die Schublade ausgetauscht! Klar, das war eine von Gedas Kartuschen für dieses Herzdingens!“ Hastig nahm sie nochmals das Injektionsbuch zur Hand. „Megatonischer Elektrolyt, zur Verbesserung des osmotischen Haushalts“, hieß es dort. Rafale war also trotzdem so gut wie tot.


    „Na klasse! Da denken andere ausnahmsweise mal für dich mit und selbst dann versaust du es noch, Goeland!“, schalt sie sich, die Linke zur Faust geballt. Nie wieder würde sie ein Clitch anrühren. Sie sah sich um, blinzelte. So wie es aussah, würde sie wohl Recht damit haben, eher früher als später. Sie ließ den Kopf hängen, sank in sich zusammen wie ein undichter Luftballon. Andererseits... es war fast Mittag. Müsste sie sich denn nicht schon schlecht fühlen? Man hatte ihr doch gesagt, das Antalusan müsste unbedingt regelmäßig dosiert werden. Verstohlen und leise wie ein Dieb räusperte sie sich. Da war nur das mittlerweile gewohnte Kratzen im Hals, ansonsten fühlte sie sich subjektiv betrachtet eher etwas besser als die Tage zuvor. Stimmte hier etwas nicht? Aber was? Sie zwang sich zur Ruhe, schon deshalb, weil eine Wiederholung ihrer Panik langweilig war. Selbstmitleid reloaded schmeckte fahl.
    Geraume Zeit später saß Rafale auf ihrem Krankenbett, die Beine im Schneidersitz verschränkt. In den Händen hielt sie je eine Injektor-Kartusche. Links ihre nächste Dosis Antalusan, rechts eine weitere von Gedas Elektrolytspritzen. Langsam, wie auf einer gut ausbalancierten Wippe, wog sie die Kartuschen in ihren Händen. Betrachtete mal die eine, mal die andere Seite der Wippe. Sollte sie es wagen?


    Man sagte ja, gelungene Experimente ließen sich niemals wiederholen. Andererseits war ihre Neugier geweckt, gepaart mit ihrer angeborenen corellianischen Risikobereitschaft ( T´sani hätte es -wie üblich- „Irrsinn“ genannt, der Rest der Galaxis vermutlich auch ). Unschlüssig wog sie die Kartuschen gegeneinander in dem stillen Zimmer. Dann schnaufte sie, um dem Ganzen einen möglichst theatralischen Abschluss zu geben. Sie legte die Kartuschen schließlich aus den Händen und beugte sich weit aus dem Bett, um in den Zeitschriftenständer zu langen, fast verlor sie dabei das Gleichgewicht. Ihre Beute war die aktuelle „Sith im Spiegel“ und sie wusste genau, wo sie nachzuschlagen hatte. Bunt flackerte die Flash-Folie beim Blättern auf, warf Hologramme vor Rafales Augen. Diese jedoch schenkten den neuesten Erzeugnissen der Konsumwelt keine Beachtung, sie blieben schließlich auf dem Horoskop hängen: Da! Sternzeichen Leier, erste Dodekade, heutiger Eintrag: „Heute ist ein Tag, an dem sie getrost Wagnisse eingehen können! Seien sie besonnen, aber mutig, und ihnen wird so manches gelingen.“ Zufrieden klappte sie die Zeitschrift zu und ließ die Werbeholos mit sich selbst allein, sie hatte genug gesehen. Besonnen, aber ermutigt griff sie nach den Kartuschen, um die Aufkleber behutsam zu lösen und auszutauschen.




  • Experiment


    Der dritte Tag ihres großen Experiments. Und gleichzeitig der Tag, an dem die letzte Kartusche aus Geda Gresons vergessenem Tischvorrat verbraucht war. In dem Maß, in dem ihre innere Anspannung stieg, wurde der Klinikalltag langweiliger und zermürbender. Geda lag noch immer auf der Intensivstation, Rys meinte, ihr Zustand sei mittlerweile sehr ernst, der dazu passende Gesichtsausdruck der sonst stets gut gelaunten Pflegerin sprach Bände, wenn nicht gar eine ganze Encyclopedia Corelianna. Arme Geda. Ohne ihre Zimmergenossin war es noch öder in Zimmer 38 und Rafale war ihren Gedanken ungewohnt schutzlos ausgesetzt. Im Klinik-Programm des Holo-TVs hatte sie schon sämtliche verfügbaren Filme mit Bud Spicer und Horace Hill angesehen, zuletzt „Das Krokodeal und sein Seepferd“, zum fünften Mal. Es half nichts. Sie saß dabei auf dem Bett, wie immer völlig vertieft in den Film, machte mit unbewusster Gestik jeden Faustschlag simultan mit ( und davon gab es in dem Film viele ), aber es konnte sie nicht lange ablenken. Sie hatte, wie so oft, ein riskantes Experiment losgetreten, ohne sich wirklich Gedanken über dessen Auswertung gemacht zu haben. Ein Umstand, wegen dem corellianische Techniker die höchste Patentdichte, aber auch die geringste Lebenserwartung der Kernwelten haben.


    Wieder und wieder horchte Rafale in ihr Experimentierobjekt, den eigenen Körper, hinein. Doch außer gelegentlichen Verdauungsgeräuschen schien dieser nicht sonderlich an einer tieferen Kommunikation mit seiner Besitzerin interessiert zu sein. Sie betrachtete ihre ausgestreckte Zunge im Spiegel, bis sie ihre eigene Grimasse nicht mehr sehen konnte. Nichts. Im Gegenteil, nach alter Gewohnheit hätte sie sich selbst attestiert, jetzt „über den Berg“ zu sein, sie fühlte sich recht gesund, und das trotz Biermangels. Sie erkundigte sich bei den Visiten nach ihren Werten, fragte die Pfleger, was für einen Eindruck sie denn mache. Und alle, Dr. Dr. Antalus, Schwester Rys, sogar der stets miesepetrige Zabrak ( dessen Name Maniss lautete, Rafale verkniff es sich ausnahmsweise, ihm einen ulkigen Spitznamen zu verleihen ), alle bestätigten erfreut, dass die Patientin einen sehr gesunden Eindruck mache. Das riskante Experiment war gelungen, aber was hatte Rafale damit jetzt bewiesen? Dass das Antalusan keine Wirkung hatte, schön und gut. Den Gedanken, eine Seuche mittels eines Herztonikums bekämpfen zu können und somit versehentlich weltberühmt zu werden, verwarf sie sogleich, das war selbst für ihre lebhafte Gedankenwelt zu wild. Andererseits.... sie knabberte wie üblich an ihren Fingernägeln, während sie angestrengt nachdachte.


    Das Holo-TV in der Zimmerecke schüttete dabei völlig unbeachtet eine Werbesendung nach der anderen über Rafale aus. Andererseits... wenn es dieses Medikament eigentlich nicht gab, gab es dann auch diese Reticudingens-Krankheit gar nicht? Wer tat sowas? Und warum? Und warum starben dennoch einige Leute an.... ja, woran eigentlich? Unbewusst hielt sie den Atem an. In ihr breitete sich ein Gefühl aus, als hätte sie im Lokal an der Ecke versehentlich die große Rattataki-Grillplatte für zwei bestellt. Verdammt große Portion. Oh ja, Rafale Goeland, du bist da an etwas verdammt großem dran. Fragt sich nur, wer der Koch ist.


    Es war ein Gefühl, genau wie damals an der Uni, wenn eine Klausur anstand. Sie wusste, dass heute etwas wichtiges passieren musste, auch wenn der Ausgang des Unternehmens nicht ganz gewiss war. Und genau wie damals war ihr naheliegendster Impuls. einfach liegen zu bleiben und sich die Decke über den Kopf zu ziehen. Sie tat es. Kurze Zeit später tauchten ihre Finger aus dem Deckenmeer auf, dann ein roter Haaransatz, gefolgt von Augen und Nase. Im Holo-TV lief gerade eine Folge einer uralten Kampfsport-Serie. Der Lang Tsu-Meister verprügelte die Bösen, ohne mit der Wimper zu zucken, ein echter Held. Eine Weile sah sie fasziniert zu, dann schob sie sich aus dem Bett, das Flackerbild dabei nicht aus den Augen lassend. Schließlich stand sie vor dem Spiegel, übte sich im Entschlossen-Gucken. Sah sie in ihrem Bademantel nicht auch ein wenig aus wie David Quarrantine? War es nicht auch an der Zeit, den Bösen zu zeigen, was ein Repulsor-Rechen ist? Mit zackigen Bewegungen wirbelten ihre Hände vor dem Spiegel. Wuah! Huah! Fuchtelfuchtel! Gut, sie hatte kein so schickes Stirnband. Aber sie konnte mindestens so cool gucken wie David Quarrantine. Ja, es war Zeit für den nächsten Teil des Experiments.







  • Caf-Stunde


    Die Nacht schützt die Jäger. Der Tag schützt die Heiligen. Und die Caf-Stunde der Reticulitis-Station schützt die neugierigen Rafales. Einem Ameisenhaufen gleich wimmelte es vor Pflegern, Dienst-Droiden, Besuchern und Caf-gierigen Patienten auf dem Gang. Dezent öffnete sich die Tür von Zimmer Nr. 38 und spuckte einen rothaarigen Kopf aus, der sich kurz umsah. Betont unauffällig schob sich dann der Restkörper Rafales hinaus in die Ameisenstraße. Heldenzeit. Nur mühsam konnte sie den Impuls, zackige Lang Tsu-Bewegungen beim Gehen zu machen, unterdrücken. Das goldene Licht der Nachmittagssonne kam durch die großen Fenster hinein und trieb Unzucht mit der kühlen künstlichen Beleuchtung, Caf-Duft waberte durch den Gang. Wenn Plexoplast-Geschirr klappern könnte, hätte es das jetzt freudigst getan. Die ideale Zeit, um sich heimlich umzusehen.


    Für Rafale lag es auf der Hand: Wenn man etwas über Leute erfahren will, geht man mit ihnen einen trinken oder man besorgt sich deren Akten. Da es in Dr. Dr. Antalus´ Klinik alles gab außer Alkohol ( von Schwester Rys´ milder wie unerlaubter Bierspende abgesehen ), blieb ihr ja nur der Weg über die Akten. Schon bei dem bloßen Gedanken wurde ihre Kehle trocken wie Tatooine. So diskret wie möglich schlenderte sie in Richtung des Schwesternzimmers, wo ihrer Meinung nach die Patientenakten deponiert waren. So wie es sich für diese schicke Klinik gehörte, waren in kurzen Abständen elegante mehrfarbige und -sprachige Holo-Hinweisschilder an den Wänden angebracht, die den Weg dorthin wiesen, obwohl ein Blick den Gang entlang durchaus dafür gereicht hätte. Das Schwesternzimmer war deutlich erkennbar, nicht nur wegen der zahllosen weiß gekleideten Kräfte, die dort hinein und hinaus hetzten, sondern auch wegen der breiten Tresenfront statt der sonst üblichen Türen. Noch immer im Unauffälligkeitsmodus, näherte sich Rafale.


    Die Tresenfront war offen wie ein einladendes Maul und als Rachenzäpfchen stand dort eine Oberschwester hinter dem Tresen! Wenn es auf dieser Station jemanden gab, der Maniss, den ebenso bulligen wie misslaunigen Zabrak-Pfleger noch an Massivität übertraf, dann war es diese rancorgesichtige Oberschwester. Die Sorte, die zwei Metallplatten durch bloßes Aufeinanderdrücken kaltverschweißen konnte. „Zum Rodder, welcher Höllensumpf Corellias hat dieses Weib nur ausgespuckt?“, murrte sie zwischen den zum diffusen Lächeln gebleckten Zähnen. Wie ein Traktorstrahl hatten Oberschwester Muirs Blicke ( Die Vorsehung hatte ihr diesen Namen gegeben, um sie von einem Rancor unterscheiden zu können, den Rancor sind traditionell namenlos ) Rafale eingefangen und zogen diese unerbittlich an, bis sie nur noch durch den Tresen von Muir getrennt wurde. „SIE WÜNSCHÄN?“, donnergrollte es ihr entgegen. Rafale zuckte reflexhaft zusammen und verlor knapp 3 Zentimeter Körpergröße. Sie war eben doch nicht David Quarrantine. In Rafales Hirn gefroren Worte wie Ideen zu einem unbeweglichen Klumpen Hoth-Eis. Zum Frell, Goeland, jetzt sag was, sonst schnallt dich diese Banthakuh auf eine Bettpfanne, bis du lachst! zischelte der Lang Tsu-Meister durch ihre mentale Eiswüste.


    „I-Ich...also..“, bröckelte es aus ihr heraus. „JA?“ donnerte es aus den Rancor-Bergen zurück. Rafale spähte hilflos den Gang entlang, auf der Suche nach einem Rettungsanker. Ganz am Ende war zwar kein Anker, aber eine Schwester mit dem Servieren von Caf und Kuchen beschäftigt, eine leicht gebückt gehende alte Dame stand neben ihr. „Also... ich war da gerade auf Klo....“, deutete sie auf die Toilettentüren. Muir folgte dem Wink desinteressiert und legte dann wieder ihren zentnerschweren Blick auf Rafale. Minus 4 Zentimeter. „Also...wie gesagt, ich musste mal. Und während ich da saß, war jemand nebenan in der Kabine.“ Muir schaffte es, noch desinteressierter zu wirken, während sich die kleinen, eng stehenden Augen in Rafale bohrten. Minus 5 Zentimeter. „Na, die hatte gehörigen Durchfall, konnte ich genau hören. Und als die raus ist, hat sie sich weder die Hände gewaschen noch den Desinfektionsstrahler benutzt, ganz bestimmt!“ „JA? UND?“ Kurz bevor Rafale ganz und gar optisch in den Boden gestampft wurde, zückte sie ihre Trumpfkarte im Gesundheits-Poker. „Naja, und ich hab ihr dann hinterher geguckt, das war die alte Dame da hinten, die jetzt ihrer Kollegin beim Kuchen austeilen hilft...“ „WAAAS?“, grunzte die Oberschwester auf und machte sich schnaufend und stampfend wie ein echter Rancor auf Vernichtungsmission, den Tresen wie ein Waisenkind allein zurücklassend. Allein? Nicht ganz. Rafale hatte das schelmische Lächeln von Horace Hill bestens eingeübt. „Krokodeal gegen Seepferd 1:0!“, kicherte sie und schob sich hinter den Tresen.





  • Aktenkunde


    Mit einem eiligen Ruck wurden die in ihrer Schublade dämmernden Akten aus ihrer stoischen Ruhe gerissen. Blendend helles Licht fiel hinein, gefolgt von einer neugierig tastenden Frauenhand. Wie ein kreisender Raubvogel angelte diese ihre Opfer heraus, die Akten mit dem Buchstaben „G“. G wie „Goeland“, G wie „Greson“. G wie „Grsmeczak“. „Frellig, wer hat denn so einen bekloppten Namen?“, gluckste Rafale Goeland leise vor sich hin. Hastig öffnete sie den Deckel ihrer eigenen Akte und überflog die Einträge. Gewebeanalysen, Blutwerte ( mitsamt eines Eintrages „Ernährt sich vermutlich ausschließlich von Fast Food!“ ), Essenspläne ( mit schmalen Lippen quittierte Rafale die Aussicht, dass es morgen schon wieder Whez-Vollkorngrütze geben würde, sie musste hier raus! ) und einigen handschriftlichen Eintragungen ohne besonderen Belang.


    Empörung machte sich in ihr breit, als sie das einsame Wort „Alkoholikerin?“ neben ihren Leberwerten sah. So eine Frechheit, zum Rodder! Knapp widerstand sie der Versuchung, den Eintrag mit FlippEx auszuradieren, entschied sich dann aber doch dafür, den Tarnmantel ihrer Subtilität zu wahren. „Schwester?“, krächzte es plötzlich alterstrocken vor ihr, mehr ein Geräusch als eine artikulierte Frage. Rafale sah erschrocken auf. „Schwester, wo ist denn das Verbandszimmer? Ich soll zum Medidroiden gehen, um meinen Beinverband zu wechseln.“, ergänzte eine eher klapprig wirkende alte Dame, deren Brillengläser so dick waren, dass sie eine Unwucht in der Drehachse Corellias bewirken konnten. Aha! Die Frau verwechselt dich nur, weil sie nichts sieht! dämmerte es in Rafales aufgescheuchten Gedanken. Wo konnte nur diese verfrellte Verbandsstation sein? Ängstlich blickte sie den Gang hinunter, an deren Ende die Rancorschwester, eine Pflegerin und die gebückte Alte den Gesten nach heftig miteinander diskutierten. „Ehm... in diese Richtung!“, Rafale wies in die entgegen gesetzte Richtung, „fünfte Tür auf der linken Seite, einfach reingehen ohne zu klopfen!“ Hoffentlich gab es auf der Seite überhaupt fünf Türen, aber egal. Rafale wollte die Frau nur los sein, Oberschwester Muir konnte jeden Moment den Rückweg anstampfen und dann war sie geliefert. „Dankeschön, Schwester!“, krächzte die Frau ihr über die schiefe Schulter nach, während sie sich schon mit ihrem Repulso-Rollator in die zugewiesene Richtung bewegte.


    Rafales Hände legten einen schnelleren Betriebsmodus ein. Eilig ließ sie die Akte „Grsmeczak“ liegen und widmete sich „Greson“. Gleiches Bild, abgesehen von der bekannten Herzkrankheit, deren Namen Rafale nicht einmal durch Ablesen richtig aussprechen konnte. Hilflos formten ihre Lippen das Wort, das so viel schwerer als „Grsmeczak“ und noch viel, viel schwerer war als „Clitch Bier“. Durst regte sich rockzipfelzerrend in ihr. Nicht jetzt! Nein, außer der Überweisung auf die Intensivstation wegen fortgesetzter negativer Entwicklung der Reticudingsbums war da nichts auffälliges. Rafale schnaufte. So würde das nichts werden. Ihre Gedanken schweiften ab, unbeeindruckt von der Gefahr, demnächst Muirs tonnenschwere Pranke auf der Schulter zu spüren. Wie eine Abrissbirne schwebte Ratlosigkeit über ihr. Sie dachte an Bulk Logan, den bekannten Wrestler. Der Mann machte immer großen Eindruck auf Rafale und sie hatte eine nicht unerhebliche Zahl von Chipstüten vor dem Holo-TV-Altar in seinem Namen geopfert, wenn er kämpfte. Was würde der Bulk jetzt tun?


    Ihr fiel einer seiner bekanntesten Sprüche ein, ein Zitat, das in GNN noch heute rauf- und runtergedudelt wurde: „Also... wenn ich mal einen schlauen Gedanken haben will, dann versetze ich mich immer in die Köpfe anderer Leute, höhö!“, hatte er gesagt. Er war so klug! Rafale lächelte. Wie einfach war doch manches, wenn einem nur die richtigen Vorbilder einfielen. Hm, und wer war hier so klug, dass man sich in dessen Kopf versetzen müsste? Richtig, Dr. Dr. Antalus! Na klar! Hatte sie etwas damit zu tun? Goeland wackelte derart mit dem Kopf, dass sie einen imaginären Hut damit hätte abwerfen können. Wenn die Reticusonstwas auf die eine oder andere Art ein Schwindel sein sollte, wer, wenn nicht Antalus, sollte darin verwickelt sein? Und was würde Antalus tun, wenn sie das alles organisieren wollte? Richtig, keinesfalls alles in die Akten schreiben. Mochte sie hier einige Komplizen haben, aber es war viel zu riskant, verräterische Informationen in die öffentlich zugänglichen Akten im Schwesternzimmer zu schreiben. Und nur ein ausgemachter Volltrottel würde demnach dort suchen. Rafale pausierte. Sie hob den Kopf und blickte in ihr Spiegelbild auf einem kleinen Frisierspiegel hinter dem Tresen. Es lächelte nicht. „Ausgemachter Volltrottel, ja? Sehr komisch. Aber wenn ihr unbedingt Streit wollt, bitte. Ich kann auch anders!“, knurrte sie diffus vor sich hin. Stampfende Rancor-Erdbebenschritte und ein spitzer Schrei aus dem Zimmer hinter der fünften Tür links rissen sie aus ihrer gedanklichen Kampfansage und ließen sie elegant um den Tresen herumhuschen.





  • Taktikerin


    Wie ein aufziehendes Gewitter war Schwester Muirs schlechte Laune an Rafale vorbeigezogen, die befürchteten Blitzschläge waren ausgeblieben. Sie lehnte sich in sicherer Entfernung zum Schwesternzimmer an einen Pfeiler, ein Bein lässig angezogen. Leise zischelnd protestierte ihre Synth-O-Flex-Pneumatik am Knie gegen diese betont lässige Pose, konnte sich aber bei ihrer Trägerin nicht durchsetzen. Diese war mit ihren Gedanken weit weg und hatte noch keine Rückfahrkarte gelöst. Wenn das Antalusan ohne Wirkung war, wenn die Reticusidididingens ein Schwindel war, wenn Antalus darin verwickelt war, wenn die Beweise irgendwo anders waren..... Die vielen „Wenns“ hetzten einander im Kreis, und Rafale Goeland liebte zu viele „Wenns“ ebenso wenig wie zu viele „Warums“. Leider war momentan kein „Darum“- oder „Weil“-Automat in Sichtweite und so musste sie weiter mental gründeln.


    Sie warf dem offenen Tresenbereich des Schwesternzimmers einen verstohlenen Blick zu, Muir hatte sich dort wieder als kolossales Krankenschwestergebirge eingerichtet und spähte mit ihren kleinen, eng stehenden Augen umher. Rafales kleine Akteneinsicht war zwar erfolglos, aber dem Rodder sei Dank offenbar auch folgenlos geblieben. Sie schloss die Augen. Dachte nach. Vermied Bulk Logans Weisheiten. Prof. Nyren, Ihr Professor für abgewandte Physik hatte ihr einst gesagt: „Goeland, sie Null! Es heißt, wir nutzen nur 20% unseres geistigen Potentials! Wenn sie das erreichen wollen, müssen sie sich anstrengen, verdammt anstrengen!“. Vielleicht hatte er Recht. Sie arbeitete gerade an einem Seufzer der Resignation, als eine bekannte Krächzestimme sie aus ihren nicht vorhandenen Gedanken riss. „Schwester, die fünfte Tür von links war aber falsch! Da waren keine Medidroiden und Verbände, nur Duschräume!“ Vor Schreck kippte Rafale kurzentschlossen aus ihrer betont lässigen Pose und kam taumelnd auf beide Füße. Die kurzsichtige und etwas tüdelige alte Frau sprach nicht mit ihr, sondern mit Schwester Muir, offenbar bemerkte sie den Unterschied gar nicht. Ein kurzer Anflug von ehrlich empfundener Empörung verflog schnell, als sie weiter lauschte. „Sie wirken viel breiter als vorhin, ist das ein gefütterter Kittel?“ Ein äquatorial breites Grinsen überzog Rafales Mund, gefolgt von ihrer Rafale-Goeland-ist-unschuldig-Miene Nummer Drei.


    Dezent summend zog sie sich von der Szenerie zurück, suchte Sichtschutz hinter der geöffneten Tür der Caf-Küche. Ein kurzer Blick hinein. Nein, kein Clitch-Zapfhahn, nur viele stumme, ultrachromblitzende Sitheco-Cafmaschinen. Mh, die Enttäuschungen stehen heute Schlange, eh, Goeland? Sie begab sich erneut auf die innere Suche nach hilfreichen Weisheiten, während Schwester Muir jenseits der Tür mit dem Tonfall einer Geröllawine die alte Dame zurechtwies. Sie dachte wieder an David Quarrantine in der Lang Tsu-Serie. Sagte der nicht immer so schlaue Sachen? Sowas wie... ja... mhhh... ja, schlaue Sachen halt. Ihr fielen nur gerade keine ein. Der hatte doch immer so einen weisen Spruch, wenn er nicht wusste, wo er anfangen soll, oder? Ach ja: „Wer Kötel sucht, muss zum Hund gehen!“ Wie ein Blitz schoss die Erleuchtung durch Rafales Hirnlandschaft. Jawohl! Dr. Dr. Antalus´ Büro, das war die Lösung! Wo, wenn nicht da, sollte sie Beweise sicher aufbewahren? Sie untermalte diese Erkenntnis mit einem derart lauten Fingerschnippen, dass ein in der Caf-Küche abgestellter Servier-Droide mit einem dienstbaren Fiepen reagierte. Äußerst zufrieden mit sich, schlenderte Rafale in Richtung der Ärztezimmer.


    Dr. Dr. Antalus´ Büro aus dem Gedächtnis wiederzufinden war für Rafale nicht schwerer, als in der Nase zu bohren, sie verzichtete jedoch auf den praktischen Vor-Ort-Vergleich. Das Tastenfeld einer Schließanlage gab ihr neben der ohnehin vorhandenen Frage, wann sie dort eindringen sollte, auch gleich die Frage auf, wie sie es denn tun sollte. Gereizt widerstand sie dem Impuls, die Kombination „1-2-3“ auszuprobieren. Diese verwendete Rafale bei sämtlichen eigenen Codesicherungen. Ihr erschien es ausgesprochen clever, eine so dämliche Kombination zu verwenden, denn sowas würde kein intelligentes Wesen tun. Außer ihr selbst natürlich. Sie musste an den Code kommen, aber wie? Ihr Blick fiel auf eine ebenso pädagogisch wertvolle wie üppige Grünpflanze, welche an der gegenüber liegenden Wand den floralen Wachhund spielte. Gedankenverloren rieb sie eines der großen Blätter zwischen ihren Fingern. Mit etwas Geschick könnte sie dort ihr Comlink drapieren und die Kamera einschalten. Aber wie lange sollte sie warten, bis jemand die Tür öffnen würde? Schließlich hatte ihr Comlink-Modell nur einen begrenzten Aufnahmespeicher, es war eben nur ein Billigmodell für Treuepunkte von DrallMart. Hätte sie etwas mehr eingekauft, hätte es vielleicht für das nächst bessere Modell gereicht. Hätte, wäre, wenn. Eine Lösung musste her. Ha! War da nicht eine Rufanlage hinter dem Tresen des Schwesternzimmers? Wie ein Eisblock im Nacken traf sie der Gedanke, Schwester Muir erneut überlisten zu müssen. Hätten sie nicht einen Darth dahin stellen können? Aber nein, immer musste sie voll ins Ionenklo greifen. Doch schließlich, angefeuert von ihren bisherigen Höhenflügen, fiel ihr auch dafür eine Taktik ein, die den Lang Tsu-Meister mit Stolz erfüllt hätte. Freudig schnippte sie abermals mit den Fingern, mit dem Ergebnis, dass sie das Blatt, welches sie noch immer zwischen ihren Fingern hielt, dabei zerrupfte. „´tschuldigung!“, stammelte sie schuldbewusst.





  • Caf!


    Nachdem sie ihrem Comlink einen vorgeschobenen Beobachterposten in der mächtigen ( und pädagogisch wertvollen ) Grünpflanze vor Dr. Dr. Antalus´ Büro verschafft hatte, schlenderte Rafale Goeland so unbeteiligt wie nur möglich zum Schwesternzimmer zurück. Schwester Muir stand allein dort, vermutlich hatte sie die bucklige Alte allein durch ihrem drohenden Rancor-Blick atomisiert. Mit Grausen malte sie sich das Szenario aus, wenn Muir sie diesmal erwischen würde, dann zerknüllte sie das geistige Malpapier und warf es in die ebenso geistige Ecke. Es würde nicht schiefgehen. Mit einer Bewegung wie flüssiges Quecksilber ( wer sich das nicht vorstellen kann: Es sieht genauso aus wie kullernde Hasenkötel, klingt aber stilvoller ) schob sie sich in die einladende Türöffnung der Caf-Küche. Ihr Plan war während des Fußwegs gereift wie ein guter Camembert und so fiel sie aus dem Quecksilbermodus und stemmte die Hände in die Hüften, sich aufmerksam umsehend.


    Gedämpftes Licht fiel durch das Mattglas des Küchenfensters. Es war nicht einmal schlecht geputzt ( was in Dr. Dr. Antalus´ Klinik auch ein Ding der Undenkbarkeit gewesen wäre ), sondern wirklich mattiert. Wahrscheinlich wollten die Schwestern sich nur ungern aus dem gegenüberliegenden Gebäude bei der Kaffeepause beobachten lassen. Hier wäre der ideale Raum zum Clitchtrinken gewesen, Clitch vorausgesetzt. Unbehaglich schob Rafale diesen Gedanken beiseite, auch wenn er sich mental arg festklammerte. Auf dem langen Tresen standen, wie dienstbereite Soldaten aufgereiht, sechs Sitheco-Caf-Automaten. Während sie noch mit funkelnden Augen die ebenso funkelnden Automaten bewunderte ( bei ihr daheim langte es nur für eine Sensiblo-Maschine ), fand ein melodisches „Drrrrt?“-Fiepen in ihren Gehörgang. „Der Servier-Droide, zum Frell!“, fluchte Rafale vor sich hin. Der Droide warf ihr abermals ein „Drrrrt?“ entgegen und schaffte es tatsächlich, mit dem Haufen akustischer Konsonanten eine Frage zu suggerieren: „Was willst du hier?“


    Fieberhaft spielten die möglichen Lösungen Fangen in Rafales Kopf, schafften es aber trotz der Enge nicht, einander abzuklatschen. Schließlich griff sie sich an die Schläfe, zerrte ihr Stirnband vom Kopf und machte einen großen Schritt auf den Droiden zu, um ihm das Stirnband über die beiden Objektive seiner Kamera-Augen zu stülpen. Mit einem verärgert klingenden „Brrrrt Huii!“-Fiepen drehte dieser den beweglichen Kopfteil in alle Richtungen, hob seine Greifarme an, die jedoch nicht dafür ausgelegt waren, sich selbst am Kopf zu erreichen. Eine Weile schaute Rafale mit quietschvergnügter Miene dem seltsamen Karusselspiel zu, dann widmete sie sich wieder den Caf-Automaten. Alle waren sie betriebsbereit, verrieten ihr die diversen Kontrolleuchten. Befüllt mit 110% Tarisica-Bohnencaf, Milch aller möglichen galaktischen Säugetiere, Zucker und Synth-Sirup. Unter den Auslässen für den fertigen Caf gähnte der Stellplatz für Tassen und harrte eines Gefäßes. Ihr schlanker Zeigefinger näherte sich dem Bedienfeld und stupste nacheinander die Tasten „Große Kanne, extra voll“, „Dreifach Milch“, „Zucker“ und „Sirup“.


    Rafale betrachtete den ins Leere laufenden Caf, dann wiederholte sie diese Prozedur an den anderen fünf Maschinen. Herrlicher Caf-Duft breitete sich aus, der Caf ebenso, und zwar Richtung Tisch, dann Richtung Fußboden und schließlich Richtung Ausgang. Sie beschloss, es dem Caf gleich zu tun und das Weite zu suchen. Im optischen Windschatten der Tür schlich sie fort und eroberte eine etwas entfernt stehende Sitzgruppe ( ein Paradoxon in sich ). Dann ließ sie den Dingen ihren Lauf. Und sie liefen und kamen ziemlich weit. Wenige Minuten später schlängelte sich der Caf-Duft wieder in Rafales Nase, der kleine See, welcher sich aus der Küche ergoss, erreichte die gegenüber liegenden Zimmertüren und Schwester Muirs Aufschrei das Geräuschniveau eines durchstartenden XS-Frachters. Es war unnötig, sich allzu offensiv nach vorn zu beugen, um die Geschehnisse auf dem Gang erkennen zu können, Schwester Muirs Schritte bewegten sich hör- wie fühlbar in die Caf-Küche, um den Quellfluss des Caf-Sees zu stoppen. Als schließlich das klägliche Geschnatter des Servierdroiden erklang, war der Augenblick der Lang Tsu-Kämpferin gekommen. Rafale erhob sich federnd und huschte zum Tresen des Schwesternzimmers. Siegessicher griff sie nach dem Schwanenhals der Stations-Sprechanlage, drückte schwesternmäßig-herrisch den Sprechknopf und bemühte sich um eine stimmliche Dringlichkeit. Dabei half es ihr sehr, sich in Schwester Muirs momentane Gefühlslage zu versetzen, allerdings wollte sie diesem mentalen Vergleich nicht allzu lange ausgesetzt bleiben. „Pfleger Maniss bitte dringend zum Büro von Dr. Dr. Antalus, Pfleger Maniss bitte! Rafale entließ den Schwanenhals aus ihrem Würgegriff und begab sich zum Stationsausgang, sie hatte ein Rendezvous mit einer verräterischen Kübelpflanze.







  • Peppo


    Das Leben als Zimmerpflanze hatte seine unbestreitbaren Vorteile, wenn man sie denn nur zu schätzen wusste. Peppo, wie er sich nannte ( nach einer alten Dame von Station B2, die ihm diesen Namen während ihres Klinikaufenthaltes verliehen hatte ), war ein stattliches, mannshohes Exemplar der Gattung Ficus Constantin und wusste ebendiese Vorteile sehr wohl zu schätzen. Natürlich bedingte das einen gewissen Konservatismus, der ihm aber –wie allen Zimmerpflanzen- ohnehin im Blut ( respektive Saft ) lag. Von den in seinen „Augen“ linken, schrillen Schnittblumen distanzierte man sich, Kakteen waren ihm nicht geheuer, ihre spontanen, üppigen Blüten hatten für ihn etwas schwülstig-laszives. Nein, da blieb man lieber unter sich. Man wusste, wer man war und war stolz darauf. Das Leben als Ficus, hier in der Antalus-Klinik hatte eine Menge Annehmlichkeiten, die er genoss.


    Gewiss, man sah wenig echtes Sonnenlicht, aber die Reinigungsdroiden versorgten ihn zuverlässig mit Wasser und Volldünger, er musste keine Unwetter fürchten und gelegentlich kam ein Insekt vorbei und versorgte seine kleinen Blüten mit Floralerotik. Er war stolz auf seinen eigenen Kübel, den er sich mit niemandem teilen musste, genoss die Massage eines gelegentlichen Umtopfens und konnte sich ganz dem Vorwärtskommen im Leben widmen ( was eine Kübelpflanze genau unter „Vorwärtskommen“ verstand, verschwieg Peppo den Nichteingeweihten ).
    Nur ein einziges Ärgernis trübte momentan seinen Brunnen der Selbstzufriedenheit, und das war eine Frau mit roten Haaren, welche seine prachtvollen Äste missbrauchte, um darin ein elektronisches Gerät unterzubringen. Noch dazu verwendete sie dafür ein Gummiband, also geronnenen Kautschschuk-Saft. Was für ein Affront einer empfindsamen Pflanzenseele gegenüber! Was, so dachte er sich, würde diese Frau sagen, wenn man ihr etwas mit geronnenem Blut entfernter Verwandter auf der Haut anklebte? Peppo ließ ein stummes Seufzen durch sein Geäst fahren ( er hatte diese Geste von den Menschen kopiert und fand, es würde einer distinguierten Pflanze wie ihm gut anstehen ).


    Das Gerät störte seinen empfindlichen elektromagnetischen Sinn und er hätte es am liebsten den frechen Tulpen nebenan auf die Stengel geklatscht, aber das ging ja leider nicht. Und nein, er hatte sowas auch nicht nötig, auf dieses Niveau ließ er sich nicht herab. Zuerst dachte er, das Gerät sein ein Bewässerungsautomat oder ein Boden-Tester, aber nein, die Sorgfalt galt nicht ihm, wozu auch? Es war ein Ding namens „Comlink“ und dieser rothaarigen Frau schien es offenbar wichtig, dass es genau auf die gegenüber liegende Bürotür blickte. Vor dieser hatte sich gerade eben erst ein massiver Pfleger aufgebaut und an der Tastatur ein paar Zahlen eingetippt ( Peppo kannte die Kombination mittlerweile auswendig, aber eine Pflanze von Welt kollaboriert nicht ). Kurze Zeit später kam er, leise vor sich hin grummelnd, aus dem Büro heraus, es schien nicht zu seiner Zufriedenheit verlaufen zu sein. Ob man ihm seinen Dünger verweigert hatte?


    Und als wäre das nicht schon genug deplatzierte Aufregung gewesen, nein, kurz darauf kam dann tatsächlich wieder diese Frau vorbei! Nicht nur, dass sie ihm vorhin schon ein Blatt zerrupft hatte, ihm dieses schreckliche Gummiband aufnötigte. Nein, sie würde sicher gleich eine weitere Floralschändung begehen. Wollte denn gar niemand einschreiten? Peppo hatte schon als kleiner Setzling im Anzuchtbeet die Schauergeschichten über Wühlmäuse und andere impertinente Nager gehört. Er war sich nicht sicher, wie es sich anfühlt, diesen Schädlingen in die Klauen zu fallen, aber es musste sich zweifellos ganz ähnlich anfühlen wie die ungeduldig zerrenden Finger dieser Frau. Endlich hatte sie ihn von diesem „Comlink“ ( und was ihm persönlich noch viel wichtiger war: Von diesem Gummiband! ) befreit, gluckste sie auch schon vor sich hin wie eine verstopfte Hydrokultur. Das sollte wohl ein primitiver menschlicher Ausdruck für „fröhliche Zufriedenheit“ sein. Peppo beschloss, „tote Pflanze“ zu spielen, bis dieses Martyrium vorbei war.


    Rafale Goeland gluckste gut gelaunt. Es hatte geklappt! Mit einem diebischen Grinsen verfolgte sie die digitale Vergangenheit auf ihrem Comlink, die Wiedergabe auf maximalen Zoom gestellt. Maniss´ prankenartige Hände wirkten in dieser Vergrößerung noch bedrohlicher. Sie tippten deutlich sichtbar einen Code, welcher sogleich auf Rafales mentaler Pinnwand landete: 0-8-1-5. Es mochten Zahlen sein, aber sie lasen sich verheißungsvoll wie eine Segnung. Bald würde sie dem Geheimnis auf die Spur kommen, bald.... war da jemand hinter ihr? Sie kam sich plötzlich beobachtet vor, sehr beobachtet. Aber da war nur eine Zimmerpflanze.





  • Glückskeksweisheiten


    Rafale Goeland war einer der Menschen, die immer durstig waren. Meistens lauteten Subjekt, Objekt und Prädikat in diesbezüglichen Sätzen „Bier“, dieses mal jedoch war es Tatendurst. Der Moment zum Zuschlagen war gekommen, wie eine Welle beim Grav-Surfen rollte er auf sie zu, sie brauchte nur noch aufzuspringen. Wenn es hieb-, stich- und sonstwie feste Beweise gab, dann würden sie in Dr. Dr. Antalus´ Büro versteckt vor sich hinschlummern. Und Rafale würde sie wecken, oh ja! Gerade wollte sie sich in Bewegung setzen, als zwei Pflegerinnen ihr einen zeitweiligen Strich durch die Rechnung machten. Zum Frell, mussten die ausgerechnet jetzt vorbei schlurfen, wo ansonsten alles in der Nähe wie ausgestorben schien ( die seltsame Kübelpflanze zählte sie trotz allen Unbehagens mal nicht als Präsenz dazu, vernünftig wie sie war )? Sie hielt die Hände vor sich hin, betrachtete ihre Fingernägel so aufmerksam, als würde sie diese erstmals an den Enden ihrer Finger bemerken und wartete geduldig, bis die tratschenden Pflegerinnen sie passierten.


    Über was unterhielten die sich denn da? Lauschend neigte sie den Kopf. „Also, wenn ichs dir doch sage! Das war keine kaputte Caf-Maschine! Das war ein Droide, stell dir das mal vor! Der hat sich so ein komisches Stirnband aufgesetzt, weißte, so eins wie in diesen billigen alten Lang-Tsu-Serien. Hielt sich wohl für David Quarrantine, hihihi! Jedenfalls hat er dann sämtliche Maschinen in der Caf-Küche in Betrieb gesetzt, deswegen ist da grad der Gang gesperrt und alle putzen wie die Blöden!“ „Ein Lang-Tsu-Droide?“, kicherte die andere, „das ist echt abgeflogen! Wenn sich die Menschen schon nicht mehr trauen, so einen alten Kitsch zu tragen, fangen jetzt die Droiden an... total droykig, sag ich dir!“ Mit einem unübersehbar beleidigten Gesicht strafte Rafale die beiden Schwestern ab, als diese an ihr vorüber gingen. Sie schienen es nicht wahrzunehmen.


    Trotzig beschloss sie, sich das Stirnband dennoch zurück zu holen, wenn auch vielleicht im Dunkeln. Sicher ist sicher. Die Pflegerinnen verschwanden schließlich hinter der Verbindungstür zur nächsten Station, mit unbekanntem Ziel. Rafale verschwendete keine Zeit mit ihnen und schritt zur Tür von Dr. Dr. Antalus´ Büro. Wissend grinste sie das Zahlenfeld an, dann überkam sie ein Moment der Unsicherheit. Hektisch schob sie die virtuellen Notizzettel auf ihrer virtuellen Pinnwand hin und her. „Bier“... „Bier“...“mehr Bier“...“Leergut wegbringen“...“0-8-1-5“. Ha! Das war der richtige! Der Schließcode! Hüpfend wie Gummitwist spielende Kinder tippten die Fingerspitzen den Türcode ein. Mit einem Summen, welches ihr in diesem Moment der Heimlichkeit wie das Dröhnen eines XS-Frachters vorkam, öffnete sich Antalus´ Tür einen einladenden Spalt weit. Ein Gewinnerlächeln mit angehängter Rafale schob sich hinein und schloss die Tür wieder. Es war alles so einfach!


    „Fantasie ist die Taschenlampe im Dunkel der Ratlosigkeit!“, so stand es neulich mal auf dem Zettel in einem mirialanischen Glückskeks. Exotische Wochen bei den „Men at Wok“, ihrer Lieblings-Fastfoodkette. Mirialanische Glückskeksweisheiten wurden eigentlich nur noch von Bulk Logans praktischen Lebenshilfen übertroffen, sinnierte Rafale vor sich hin, und schon nach der Hälfte des durchquerten Raumes kam ihr dann auch die Idee, sich mal umzusehen, ob sie auch wirklich allein war. Allein war sie aber tatsächlich, allein mit dem Büro und der pädagogisch wertvollen Einrichtung. Nichts hatte sich verändert, seit sie vor einer gefühlten Dreiviertel-Ewigkeit hier war und sich von Dr. Dr. Antalus ihre Diagnose erklären ließ. Wie leichtgläubig sie doch war! Nun gut, jeder konnte mal einen schwachen Moment haben, gestand sie sich zu.


    Noch immer führten die einzelnen Kunstgegenstände ihren kostspieligen Verdrängungskrieg, noch immer buckelte da der bescheidene Patientenstuhl vor dem Stil-Arrangement aus Echtholz-Schreibtisch und Chefsessel. Doch jetzt war sie am Zug. Kurz widerstand sie der Versuchung, sich Lang Tsu-mäßig zackig zu bewegen und näherte sich gelassen den Aktenschränken. Schon aus einigen Schritten Entfernung erkannte sie, dass nicht alles so einfach war, wie die Glückskekse behaupteten: Erbarmungslos blinzelte ihr das Display einer weiteren Schließanlage entgegen! Schon wieder, zum Rodder! Und diesmal sogar ein alphanumerisches Tastenfeld! Das konnte ja heiter werden. „Na, mal sehen, wie stark die Taschenlampe jetzt ist!“, brummelte sie unbehaglich. Zuerst mal die naheliegenden Passwörter versuchen, Goeland, wird schon werden. „0815“ - „Zugang verweigert!“, „Antalus“ - „Zugang verweigert!“, „Maniss“ - „Zugang verweigert!“, „Reticulitis“ - „Zugang verweigert!“, „Antalusan“ - „Zugang verweigert!“, „Mutti“ ( das passt eigentlich immer! ) - „Zugang verweigert!“. Rafale wurde ungeduldig, der Bogen von naheliegend zu fernab spannte sich wie eine Hängebrücke. Verärgert gab sie dem Tastenfeld einen Fausthieb. „GnLpfT“ - „Zugang gewährt!“. Das Schloss der Schranktür öffnete sich anbiedernd sanft. Rafale beschloss, sich bei der nächsten Exotik-Woche einen Großmarktvorrat an mirialanischen Glückskeksen zu kaufen.






  • Erkenntnis


    Seine eigene Krankenakte zu lesen, hat etwas davon, mitzubekommen, wie andere von einem sprechen: Es erfüllt einen mit einer sonst unbekannten Neugier auf sich selbst, dem Wunsch, die eigene Wirkung nach außen zu sehen und zugleich mit der unterschwelligen Angst, Dinge zu erfahren, die man doch eigentlich gar nicht sein kann. Oder will. Oft genug hatte Rafale Goeland -meist in blerlauniger Runde- gesagt: „Ich kenne mich nur aus dem Spiegel. Kein Wunder, wenn manche Eindrücke verzerrt sind!“ (*) Dennoch drückte diese charmante Entschuldigung eigentlich nur ihre Unsicherheit gegenüber den Unwägbarkeiten der Perzeption anderer aus. Beruhigenderweise enthielt die schmale Aktenmappe aus trendiger Durafolie keine unangenehmen Neuigkeiten, im Wesentlichen war es eine ordentlichere Kopie der Akte aus dem Schwesternzimmer. Sogar der handschriftliche Hinweis „Alkoholikerin?“ fehlte in diesem Schriftstück, was ihm in Rafales Augen eine gewisse selbstzufriedene Seriosität verlieh. Sicher war es das sachkundige Original, was verstanden Krankenschwestern schon von Alkohol?


    Eigentümlicherweise waren ihre Angaben zur Familie mit Pulsar-Leuchtstift markiert. Was mochte das wohl bedeuten? Da weder ihr Verstand noch die Akte ihr eine Antwort darauf geben wollten, hängte sie die Mappe wieder sorgfältig in ihre Position. Was, wenn sie sich geirrt hatte? Wenn es doch alles nur ein dummer Zufall war? Nein, ihr Selbstversuch mit dem Antalusan war eindeutig, daran gab es nichts zu interpretieren. Hier war etwas faul, absolut faul. Sie musste weiter suchen. „Beharrlichkeit ist die Tugend der Talentlosen“, hatte ein kluger Kopf einst gesagt, und auch wenn Rafale sich der tieferen Bedeutung nie ganz klar wurde, so fand sie es dennoch gut, Tugenden zu besitzen. Nächste Akte. Ah, der bereits bekannte Mr. Grsmeczak. Diese Akte konnte sie getrost überspringen, wenn Dr. Dr. Antalus einen Betrug an den Patienten vornahm, dann ganz sicher nicht bei diesem, den konnte ja kein Droyk richtig buchstabieren! Greson. Gedas Akte, das könnte interessant sein. Behutsam, als könnte eine unbedachte Bewegung Gedas kritischen Gesundheitszustand noch verschlimmern, hob sie die Akte heraus und schlug sie auf. Auch hier war zunächst nichts zu finden, was nicht auch schon in der Akte des Schwesternzimmers gestanden hätte. Doch dann wurde sie fündig, und die Erkenntnis traf sie wie ein Vibrohammer.


    „Ideales Zielobjekt: Keine nahen Verwandten, gesundheitliche Vorschäden...“ und dann folgten wieder diese Kauderwelsch-Bezeichnungen von Gedas „Herzkram“, wie Rafale es nannte. Ihr Mund stand weit offen, als wären sämtliche Muskeln in Urlaub gegangen, ihre Augen verhielten sich solidarisch. Was, zum Frell, sollte das bedeuten? Was für ein Ziel stellte Geda dar? Mit unsicherer Motorik blätterte sie die Seite um. Es war dasselbe Gefühl, mit der man den Unterschlupf einer großen Spinne umdreht, wohl wissend, dass diese daheim ist. Und sie wurde nicht enttäuscht. Auf der nächsten Seite war ein handschriftlicher Plan, mit Dosierungen und Daten. „Tötung durch Standardverfahren. Verwendung des Spezialinjektors, langsame Steigerung der Gremal-Dosis um 100 intergalaktische Einheiten pro Tag bis zum Eintritt des Todes“, stand da. Alles in ihr fühlte sich plötzlich taub und zugleich prickelnd an. Sie hatte einen Volltreffer gelandet und konnte vor Faszination des Schreckens die Augen nicht von diesem Plan lassen. Mit einem Mal riss die Wolkendecke über ihrem Erkenntnishorizont auf, sie brauchte nicht mehr zu suchen. Ihr war plötzlich absolut klar, dass sie weitere Akten dieser Art finden würde, namentlich all jener Patienten, die gerade wie Geda in einem „kritischen Zustand“ waren. Und dass Akten Verstorbener, wie jene der alten Frau, deren Leiche man neulich noch vor ihren Augen vorbeigeschoben hatte, allesamt diese Notiz enthielten.


    Von wegen Reticudingens! Von wegen Antalus-Syndrom, schnaufte sie verdrießlich. Alles Schwindel, hier ging es um x-fachen Mord. Aber warum? Diese -in ihren Augen unlösbare- Fragestellung riss sie aus dem Strudel ihrer momentanen Empörung. Doch nicht aus Jux und Tollerei? Kein normales Wesen tötet einfach, weil es das kann und weil es ihm Spaß macht ( bei den corellianischen Gleitertaxi-Fahrern war sich Rafale nicht ganz so sicher, aber für den Rest galt dies bestimmt ). Warum dieser Aufwand, warum dieses Risiko, warum diese Systematik, warum diese Stimmen vor der Tür, warum all diese.... Moment... Stimmen vor der Tür??? Rafale Goeland kam nicht nur auf den Boden der Tatsachen zurück, sie grub sich förmlich darin ein. Da waren Stimmen vor der Tür, jemand war im Begriff, gleich hereinzukommen! Sie gab sich eine virtuelle Ohrfeige. Da hatte sie alle Weisheiten ihrer Medienkonsumwelt aufgeboten, um hinein zu gelangen, aber für ein Problem dieser Art war offensichtlich gerade Sendepause. Am liebsten wäre sie vor Schreck aufgesprungen, ihre Füße jedoch waren soeben am Boden festgefroren und der nächste Streusalzbehälter schien unendlich weit weg...



    (*) Ein besonderer Dank für diesen -in meinen Augen- ebenso simplen wie hinterlistigen Satz gebührt an dieser Stelle meinem alten Freund Henning.






  • Entwischen


    Mit einem instinktiven Ruck, als wollte sie wirklich das Eis an ihren Füßen abschütteln, bewegte sie sich. Wie die Zeiger einer altmodischen Uhr krochen ihre Gedanken voran, unangenehm langsam, der nächsten Strichmarke entgegen. Ein Seufzer der Verzweiflung befreite sich aus ihrem Mund, und wenn es geholfen hätte, dann hätte sie gern noch ein Dutzend weiterer spendiert. Aber es half nichts. Ihr Herz machte sich klopfend an ihrem Rachenzäpfchen bemerkbar. Binnen kurzem würden aus den Stimmen vor der Tür Personen in der Tür werden. Ziemlich unfreundliche Personen, das war sicher. Wohin nur, wohin? Hektisch sah Rafale Goeland sich um. Wenn sie sich doch nur in Luft auflösen könnte, in einen unauffälligen Windhauch! Panik schnürte ihre Kehle mit Seemannsknoten zu. Windhauch? Windhauch? Ihr Blick hob sich unter die Decke. Da war doch ein Lüfterschacht.... vielleicht war diese Idee, ein Kind der Angst, gar nicht mal so schlecht. Wenn die Luft hier raus konnte, dann konnte sie es auch!


    Mit wenigen entschlossenen Schritten war sie zu dem Lüftungskanal gehechtet, welcher sich wie eine Schlange aus Innenarchitektur unter der Decke in unbekannter Richtung aus dem Büro schlängelte. Die Richtung war ihr in jenem Moment auch völlig gleich, das schon bekannte atonale Piepen der Türsicherung hieß sie schneller denken. Jemand spielte dort gerade die „Lass mich herein!“-Symphonie, und es klang wie der Schlussakkord. Freundlicherweise hatte die Vorsehung in Gestalt eines Raumdesigners genau unterhalb des Einlassgitters ein kleines Podest erschaffen. Auf diesem stand stoisch die Figur des „Will´y“, des tragischen Helden aus der sullustanischen Beamtenoper „Tristheit und Besoldung“. Gramgebeugt wie direkt aus der dramatischen Handlung ( zumindest nach sullustanischen Standards ) gehüpft, stand sie da und bot das steinerne Kreuz als Aufsteighilfe für die Corellianerin an. „Blue würde mich erschlagen für diesen Frevel!“, ging es ihr durch den Kopf, während sie mit einem beherzten Ruck und der Hoffnung, nicht allzu viel Duraputz von der Verkleidung zu rupfen, das Gitter losriss. Gerade verschluckte der dunkle Schlund des Lüfterschachtes ihren schlanken Körper, als sich die Tür mit dem bekannten leisen Schnarren öffnete. Keine Sekunde zu früh fingerte Rafale von innen das Gitter wieder vor die Öffnung. Vor Erleichterung glucksend begann sie ihre Flucht ins Reich der Gebäudeklimatisierung. David Quarrantine wäre stolz auf sie gewesen, auch ohne Lang Tsu-Stirnband.


    Während sie in der von ihr gerade verlassenen Bürowelt Schritte und Stimmen hörte ( es klang nach Dr. Dr. Antalus und einem männlichen Wesen mit tiefer Stimme ), kroch sie durch den Schacht, welcher ihr ausreichend Platz zum Kriechen auf Knien und Ellenbogen schenkte. Dunkel war es in ihrem Aufputz-Fluchttunnel, dunkel aber frei von Gefahr. Nur gelegentlich leisteten ihr die kleinen bunten Kontrolllämpchen irgendwelcher Apparate Gesellschaft, kleine elektronische Glühwürmchen in einem unbekannten finsteren Reich. Rafales Orientierungssinn arbeitete wie üblich gut, und er legte noch eine Sonderschicht Akkord ein, sie kroch langsam, aber stetig in eine Richtung, die halbwegs parallel zum Hauptgang der Station verlaufen musste. Es war ein gefühlt langer Weg, ihre Gelenke schmerzten und die pneumatische Synth-o-Flex an ihrem Knie gab gelegentlich zischelnde Laute des Protestes ab. Ab und zu passierte sie ein Lüftergitter, die Aussicht, die ortstypischen Geräusche und Gerüche boten ihr eine gewisse Orientierung. Sie passierte eine Duftwand aus Caf-Schwaden und musste grinsen. Kurz darauf verzweigte sich der Schacht. Wohin? Sie blieb einen Moment lang regungslos, ein Schatten in Schatten, nur von den künstlichen Glühwürmchen beobachtet.


    Gedanken fuhren ihr durch den Kopf. Hatte sie in Antalus´ Büro wirklich alles so verlassen, wie sie es vorgefunden hatte? Hatte sie den Will´y auch nicht verrückt? Das Gitter gerade eingesetzt? Mit einem verärgerten Zischen pustete sie die Bedenken zurück in die Dunkelheit hinter sich. Wird schon alles richtig gewesen sein, Goeland, mach dich nicht selber verrückt! Eine Schwade aus Desinfektionsmittel und Fäkalien riss sie aus ihren Gedanken. Zuerst wollte sie sich abwenden, dann aber drehte sie sich in diese Richtung. Die Toiletten, warum nicht? Ein idealer Ort, um ungestört in ihre angestammte Welt zurück zu kehren! Der Schacht wurde hier enger, sie musste auf dem Bauch robben, stieß sich wieder und wieder an scharfen und spitzen Kanten und Winkeln. Kein Job für Leute mit Klausopho.... Klaubopfo.... Lausofon.... Platzangst! Ihr innerer Zufallsgenerator ließ sie schließlich in eine Endverzweigung krabbeln. Wie ein vorsichtiges Tier wartete sie, den Kopf gegen das Endgitter gepresst, ob sie jemanden in der Nähe hören konnte. Rauschen einer Klospülung, Rascheln von Papier und einige andere körperphonetische Lautmalereien waren zu hören, aber keine davon in der Toilette genau unter ihr. Schließlich gab sie zuerst sich, dann dem Gitter einen Ruck.


    Ein stilles Dankeschön an ihre schlanke Figur sendend, schob sie sich durch die enge Öffnung, sie hatte es geschafft! In Sicherheit! Den einen oder anderen blauen Fleck hinnehmend, hangelte sie sich aus der dunklen Lüfterwelt in eine Toilettenkabine. Sobald ihre vor Anstrengung zitternden Hände wieder unter ihrer Kontrolle standen, zog sie die Tür zu und schloss sie. Verschnaufen. Zu Kräften kommen. Alles würde gut werden. So saß sie noch einige Minuten da, umgeben vom geschäftigen Kommen und Gehen im Toilettenraum. Als schließlich niemand mehr zu hören war, war auch für sie die Zeit zum Aufbruch gekommen. Sie würde gar nicht erst in ihr Zimmer zurückkehren, sondern sich sofort aus dem Staub machen, die Coronet Police Unit ( CPU ) würde sich sicherlich sehr über ihre Entdeckung freuen. Antalus und ihre Helfershelfer waren geliefert. Bereits in Gedanken die Zeitungsartikel über Rafale Goelands große Enthüllungsstory lesend, öffnete sie die Toilettentür und prallte in eine massive Wand aus 100% Zabrak, von der ihr sogleich klar wurde, dass diese auf den Namen Maniss hörte. Einen halben Schritt prallte sie zurück, dann legte sie den Kopf in den Nacken, um den finster dreinblickenden Pfleger anzulächeln. „Mister, die Herrentoiletten sind eine Tür weiter!“ Sie schenkte ihm ihr „Rafale-Goeland-ist-unschuldig“-Lächeln Nr. 4. Nur wenige Lidschläge später schenkte er ihr seine schönste „Zabrak-haut-Goeland-Faust-ins-Gesicht“-Geste. Um sie herum wurde es Nacht.




  • Todesengel


    Rafale Goeland war nie gut im Aufstehen, ergo sah sie auch nie eine Notwendigkeit zum Aufwachen. Es sei denn, es mündete statt in den Modus „Aufstehen“ in den Modus „Sex“, Frühstück im Bett“ oder „Neue Folge von Feuchtfarmer sucht Frau“. Sie war sich jedoch sehr sicher, dass es heute sogar in den Modus „Sich in einer riesengroßen Scheiße befinden“ münden würde, und so bemühte sie sich, die Augen noch ein wenig geschlossen zu halten. Dabei stellte sie fest, dass ihr linkes Auge von pochend heißem Schmerz durchzogen wurde, es fühlte sich stark geschwollen an. Verfrellter Zabrak, schimpfte sie innerlich. Schließlich riss ein aufdringlicher Klaps an ihre schmerzende linke Wange sie aus ihrer inneren Isolation. „Aufwachen, Kleine!“, murrte ihr Maniss´ Bassstimme ins Ohr. Sie öffnete die Augen, das linke davon ging sofort auf Teillast, die gesamte Gesichtshälfte schien in Flammen zu stehen.


    Zuerst verschwommen, dann klarer und klarer sah sie den Zabrak und dann auch Dr. Dr. Antalus. Sie selbst war auf eine Art Liege geschnallt, nur der rechte Arm war noch frei. Der unangenehme Wurm der aufkommenden Panik fraß sich in ihre Eingeweide und nistete sich ein, sie entschied sich jedoch, dass es klüger war, fürs erste gefasst zu erscheinen. Bulk Logan konnte schließlich auch Schläge einstecken. „Sie sollten ihre Pfleger besser schulen, Antalus, der Umgang mit Patienten lässt zu wünschen übrig!“. Rafale ließ bewusst den akademischen Grad weg, in der trügerischen Hoffnung, Antalus damit effektvoll getroffen zu haben. Doch diese lächelte nur, es war wie üblich ihr fürsorgliches Gutmenschen-Lächeln, aber etwas unheimliches lag jetzt auch darin. Rafale dämmerte, dass es ernst wurde und selbst der Bulkster jetzt in Schwierigkeiten wäre. „Miss Goeland....“, fing Antalus an, und es klang fast wie ein Beratungsgespräch. Maniss hantierte mit einem Gerät herum, aber er drehte ihr den gebirgsbreiten Rücken derart zu, dass sie es nicht richtig beobachten konnte. Außerdem lässt man Raubtiere nie aus den Augen, hatte sie mal in einem Buch gelesen, und so hing sie an Antalus´ Blick geklebt.


    Diese schüttelte jetzt mit einer fast bedauernden Miene den Kopf. „Miss Goeland.... was haben sie sich nur dabei gedacht? Haben sie ernsthaft geglaubt, dieses Büro würde nicht kameraüberwacht? Und auch in der Lüftungsanlage gibt es doch Service-Kameras. Es war ein Leichtes, herauszufinden, wer hier war, was er getan hat und wohin er verschwunden ist. Nur ein Vollidiot hätte gedacht, hier unerkannt herumlaufen zu können, was haben sie sich denn vorgestellt?“ Na klasse, ein Idiot also, eh? Warte nur, bis ich hier rauskomme, dann werden wir schon weitersehen, du Banthakuh! Rafale war jetzt aufgebracht und konnte sich nur mühsam unter Kontrolle halten. Dabei fiel ihr abermals auf, dass das auch egal gewesen wäre, sie war immerhin gefesselt. „Warum? Sagen sie mir einfach nur, warum! Warum haben sie diese Tecitul.... Rectilu...“, „Reticulitis.“, „Ja genau, danke! Warum haben sie diese Krankheit erfunden und warum bringen sie Leute um? Welchen Sinn macht das?“ Antalus stellte sich links neben sie und betrachtete sie eine Weile schweigend, als wartete sie auf einen Entschluss. Dann sprach sie weiter.


    „Miss Goeland, als ich frisch von der Universität kam, war ich euphorisch und enthusiastisch. Die Welt lag vor mir. Aber schon bald musste ich feststellen, dass die Realität anders war, als ich vermutete. Talent allein reicht nicht. Ich musste zusehen, wie junge Kollegen an mir vorbeizogen, weil sie bessere Kontakte zu Ärzten und Kliniken hatten, oder weil sie sich von Pharma-Unternehmen und Tech-Konzernen schmieren ließen. Wir alle prostituieren uns, und viele überschreiten die Grenzen ihres Stolzes. Können sie mir folgen?“ Rafale hatte kurz das Bild der käuflichen Frauen und Männer in den schattenhafteren Vierteln Nar Shaddaas vor sich, aber das war es wohl nicht, was Antalus meinte. „Ich konnte das nicht und ich wollte das auch nicht.“, unterbrach Antalus ihren Gedankengang. „Sie... haben sich also entschlossen, in kürzester Zeit durch eine Seuche und deren Heilung berühmt zu werden, und weil gerade keine da war, mussten sie eine erfinden, ja?“ „So ist es, Miss Goeland. Manchmal heiligt der Zweck die Mittel. Können sie sich vorstellen, was diese Klinik hier kostet? Ich bin tiefer verschuldet als der Grund des Ozeans, ich habe mich entschieden, alles auf diese Karte zu setzen und kann nur noch nach vorn. Verstehen sie das denn nicht?“


    In Antalus´ Worten klang so etwas wie ein zarter Hauch der Verzweiflung, es schien Rafale, als wollte sie ihr dieses Gefühl zum Teilen anbieten. Gedanken rasten durch ihren Kopf und machten einen behutsamen Umweg um ihr schmerzendes Auge. Sie hatte selbst Energietechnik studiert damals. Wenn ihr Vater nicht Leiter einer CIG-Raumwerft gewesen wäre, hätte sie dann ebenso leicht Praktika und Projekte bekommen? Hätte sie ebenso unbeschwert ihren Swooprennen und Parties nachgehen können, ohne je eine Konsequenz befürchten zu müssen? Sicherlich nicht. Kurz nur, für einen Lidschlag, brandete Mitleid für diese Ärztin in ihr auf. Sie hatte den Rodder um Hilfe gerufen und kam nicht mehr aus dem Deal heraus. Dann aber dachte sie an Geda und all die anderen, der Zorn übernahm wieder das Ruder, sofern man in ihrer Lage noch das Bild eines Schiffes benutzen wollte. „Und was ist mit den ganzen Toten? War das nötig, eh? Mussten sie dafür über Leichen gehen, Antalus?“ „Ja.“ Das unumwundene Eingeständnis überrumpelte Rafale in ihrem Zorn.


    „Ja, ich musste das tun. Sehen sie, für wie gefährlich würde man denn eine Seuche halten, wenn die erste Ärztin im Praktikum sie bekämpfen kann? Nein, das war der Preis, den ich zahlen musste. Ich weiß, was sie sagen wollen, Miss Goeland. Die Patienten mussten zahlen, nicht ich, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Wir alle zahlen. Und ich versuche, die Kosten klein zu halten, indem ich nur kranke Patienten und solche ohne Familie auf die Liste setze. Das sind die kleinsten Verluste für eine Gesellschaft. Wissen sie, ich hatte nie vor, als Mörderin herumzulaufen, es belastet mich, glauben sie mir das bitte. Aber wir Ärzte müssen immer ein Leben gegen ein anderes abwägen. Ich muss entscheiden, ob ich ein dringend benötigtes Organ einem Kleinkind zuteile oder einer alten Frau. Klingt leicht, ja? Ist es aber nicht. Was, wenn das Kind weitere Krankheiten hat, die vielleicht seine Lebenserwartung kürzer halten als jene der alten Frau? Und es geht noch komplizierter: Wenn das Gesetz von bestimmten Kriterien zur Vergabe ausgeht, zum Beispiel Blutwerten, die nichts mit der Transplantation zu tun haben und die man leicht medikamentös beeinflussen könnte, aber es fehlt einem die Zeit dazu? Wenn genau hier und jetzt entschieden werden muss?


    Nein, sie können sich sowas nicht vorstellen, Miss Goeland. Aber ich. Und ich muss tagtäglich damit leben, so wie alle Ärzte. Mit dem, was ich tat und auch mit dem, was ich noch unweigerlich tun werde. Und diese Leute müssen sterben, damit ich in eine Position komme, in der ich ein hundertfaches davon retten kann! Global gesehen ist der Preis niedrig, und die Moral dahinter ist nicht viel anders als die eines Generals, der einen Scheinangriff machen lässt, um anderswo weniger Verluste für seine Hauptstreitkraft zu erkaufen.“ „Sie sind krank, Antalus, krank!“, Rafale spie es ihr förmlich entgegen, in ihren Augen funkelte noch immer der Zorn, und wenn sie nicht festgeschnallt gewesen wäre, so wäre sie Antalus sicher direkt an den weißen Kittelkragen gegangen. „Warum erzählen sie mir das alles überhaupt? Denken sie ernsthaft, ich würde dafür Verständnis haben, dass sie Leute wie Geda Greson langsam und qualvoll töten? Sie haben doch einen Skrag in der Schale!“


    „Ich...“, Antalus musterte sie durch die schicke modische Brille, die Augen ruhig, gleichsam mit etwas Bedauern durchmischt, „... ich hatte es wirklich gehofft, Miss Goeland. Vielleicht verliere ich langsam wirklich den Verstand.“ Ein Brummeln des Zabrak riss Antalus aus ihrem Anflug von Selbstmitleid, sie straffte ihre Haltung und sprach ruhig, aber mit einer neu hinzugefügten Spur Kühle weiter. „Ich erzähle es ihnen auch, weil ich sie nicht töten kann, ohne ihnen wenigstens gesagt zu haben, wofür ich das alles tue. Niemand ist bislang ansatzweise so weit gekommen wie sie, und irgendwo empfinde ich es als ungerecht, sie im Dunkeln zu lassen. Sie mögen das als verrückt empfinden, aber ich versuche, nach Möglichkeit gerecht zu bleiben.“ Moment... Rafale spürte, wie ihr Körper vor Schreck versteinerte. Was hatte sie da gesagt? Töten? Natürlich hatte sie das gesagt! Ihr Atem ging schneller und schneller, wenn ihr in den nächsten Sekunden nichts einfiele, würde sie das Lang Tsu-Stirnband nicht mehr brauchen.


    Sie kämpfte gegen die schreckhafte Lähmung an, obwohl es eher zweifelhaft schien, dass es sie weiter bringen würde. Was sollte sie in dieser Lage noch tun? Zeit schinden? Um sich schlagen? Um Hilfe rufen? Alles schien sinnlos, und gerade das stachelte sie weiter an. „Schauen sie mich bitte nicht so an, Miss Goeland. Wir wissen beide genau, dass ich sie nicht mehr gehen lassen kann, ganz egal, was sie mir versprechen würden. Ich tue es wirklich ungern, aber auch sie werden sich einreihen müssen in die Zahl derer, die ein Opfer zum Wohle der Zukunft Corellias bringen müssen. Ich verspreche ihnen auch, dass es sehr schnell gehen wird, in weniger als einer Minute nach der Injektion werden sie sanft einschlafen. Maniss?“ Mit diesen Worten blickte sie zu dem Zabrak, der sich wunschgemäß umdrehte. In seiner riesigen Hand war ein Injektor und er näherte sich Rafale von rechts, griff mit unbarmherzigen Fingern nach ihrem rechten Arm, um das Gerät zur finalen Injektion aufzusetzen. Rafale zappelte, fluchte, verwünschte, aber es war zwecklos, ihre Anstrengungen ein Windhauch gegen den festen Griff des Pflegers. Der Injektor setzte zu Rafale Goelands Exekution auf ihrer entblößten rechten Ellenbeuge auf.






  • Injektion


    Rafale Goeland hasste sich gerade selbst. Auch wenn die Situation ausweglos war: Sich einfach in ihr Schicksal zu ergeben, sah einer Corellianerin nicht ähnlich. Es kam ihr vor, als holte man die Fahne schon ein, bevor der Sturm ausgebrochen war. Es war einfach uncorellianisch. Dennoch, die Faktenlage war so erdrückend wie ein Gebirge, das quer über ihre Brust gelegt war. Und in etwa so leicht fiel ihr auch gerade das Atmen. Mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund starrte sie atemlos auf das todbringende Injektionsgerät, welches sich wie ein böses Insekt auf ihren nackten Arm gesetzt hatte und nun jeden Moment seinen tödlichen, finalen, Stich setzen würde. Was tun, was nur? Diese Frage hetzte auf ihrer mentalen Hunderennbahn dem Kaninchen hinterher, und wie üblich, holte sie es nicht ein. In den billigen Action-Serien im Holo-TV kam jetzt immer die Rettung in Form eines selten dämlichen Zwischenfalls. Bulk Logan entkam immer, David Quarrantine auch, Bud Spicer und Horace Hill kamen erst gar nicht in solche Lagen. Warum sie?


    „1000 intergalaktische Einheiten, Maniss, damit wir sichergehen, dass sie tot ist.“ „Aye, Doktor, mit Vergnügen.“, antwortete Maniss. Und man sah ihm an, dass er ein grundehrlicher Kerl war, es bereitete ihm tatsächlich Vergnügen. Vor Entsetzen gelähmt starrte sie auf den riesigen Zeigefinger, wie er langsam, quälend langsam, den Auslösehebel durchzog. Ihre Fixierung auf die eigene Hinrichtung war ihr unbewusst eine große Hilfe, denn so bekam sie nur am Rande mit, dass sich in genau diesem Moment die Tür öffnete und Schwester Rys eintrat. Antalus, aber vor allem Maniss bekamen dies jedoch sehr viel deutlicher mit und reagierten sofort auf den überraschenden Besuch. Der Zabrak legte den Injektor kurzentschlossen ab und zog unter seinem Kittel einen Blaster hervor. Erst jetzt wurde Rafale wirklich wach und folgte seiner Handbewegung. Noch immer unter Schock, war sie unfähig, eine Warnung zu schreien, und selbst wenn: Es wäre zu spät gewesen. Maniss schoss sofort und traf genau, das fauchende Plasmageschoss bohrte sich in die Brust der jungen Frau, die mit fassungslos entsetztem Blick noch für einen kurzen Moment taumelnd im Türrahmen stand und dann zusammensackte. Ihre Blicke kreuzten sich nicht mehr.


    Rafale wusste innerhalb eines Herzschlages, dass sie selbst noch vor wenigen Sekunden genau diesen Gesichtsausdruck trug. Der Tod hat ein hässliches Gesicht. Im Gegensatz zu Antalus und Maniss war ihr offenbar noch am ehesten bewusst, dass der Injektor achtlos auf ihrem Bauch abgelegt ruhte. Sie musste handeln, und zwar jetzt oder nie! Mit der freien rechten Hand ergriff sie das schwere Gerät und streckte den Arm so weit, wie es nur eben ging. Die Gurte an ihrem Leib schnitten schmerzhaft ein, aber sie erreichte Maniss´ Arm und sie drückte den Auslöser. Einmal. Zweimal. Dreimal. Dann schrie der hünenhafte Zabrak auf, wohl mehr vor Überraschung denn vor Schmerz, taumelte einige Schritte zurück. In seinen Augen glühte Zorn. Tödlicher, angefachter Zorn. Rafale warf den Injektor so weit wie möglich beiseite, polternd landete das Gerät, um 3000 intergalaktische Einheiten des Giftes leichter, zu Füßen einer der vielen wertvollen Statuen. Keine Zeit verlieren, Rafale, keine Zeit verlieren. Schlag auf Schlag, wie der Lang Tsu-Meister, wenn er die bösen verdrosch!


    Mühsam wälzte sie sich halb auf die Seite und machte den Gurt des linken Armes los, dann ein Situp ( ihr fiel wieder einmal der unbedingt geplante Besuch eines Fitnessstudios ein! ) und die Beine waren ebenfalls los. Frei, endlich frei! Maniss, noch vom Eindruck der Giftinjektion überrumpelt, hinderte sie nicht am Aufstehen, Dr. Dr. Antalus hob hilflos die Hände auf Brusthöhe, von draußen drangen erregte Stimmen und Schreie in das Büro. Rafale setzte sich in Bewegung, der entstandene Tumult war genau der rettende Strohhalm, den sie jetzt brauchte! Mit wenigen, noch etwas wackligen Schritten war sie auf der Türschwelle. Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihr breit wie eine eiskalte Welle, als sie über Rys´ toten Körper stieg. Auf dem hübschen Gesicht waren noch immer Entsetzen und Fassungslosigkeit eingefroren, die weit aufgerissenen toten Augen der jungen Schwester schienen sie anzublicken, während Rafale ihren Weg in die Freiheit suchte. Aus der riesigen Wunde im Brustkorb rauchte es, der beißend-süßliche Gestank verbrannten Fleisches wehte zu ihr hoch und ließ sie würgen.


    Auf dem Gang hatten sich bereits erste Menschentrauben gebildet, Medizinaldroiden standen blockiert mittendrin und piepsten vorwurfsvoll, doch noch hielten sich alle von der unmittelbaren Szene fern. Und genau das gedachte sie jetzt auch zu tun. Mit einem kurzen Zusammenschlagen der Knie aktivierte sie den Notfallmodus ihrer Synth-o-Flex Kniepneumatik und sprintete davon, dem Ausgang entgegen. Das Rennen war eröffnet und Rafale Goeland rannte um ihr Leben.



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